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4.4 Ostpreußen - Flucht über das Eis und das Meer der Ostsee

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Urheber: Bundesarchiv, Bild 146-1989-033-35 / Budahn, H. / CC-BY-SA 3.0

https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Bundesarchiv_Bild_146-1989-033-35,_Pillau,_Hafen,_Marinesoldaten,_Fl%C3%BCchtlinge.jpg

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Nur der Weg über das Meer steht noch offen.

4.4 Ostpreußen - Flucht über das Eis und das Meer der Ostsee

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Das schnelle Vorrücken der sowjetischen Truppen und die Verantwortungslosigkeit der NS-Verwaltung, führten im Winter 1945 zu einer besonders schrecklichen Situation: Tausende Flüchtlinge waren hinter den Linien der sowjetischen Armee zurückgeblieben und hatten keine Chance, den Westen des Deutschen Reiches auf dem Landweg zu erreichen. Ihre letzte Möglichkeit waren die wenigen von deutschen Truppen gehaltenen Küstenstädte und der Weg über das Eis der Ostsee.

1. Flucht über das Meer und das Eis

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Das nördliche Ostpreußen um Königsberg wurde im Januar 1945 durch die sowjetische Armee eingekesselt. Auf dem Landweg gab es nun keine Möglichkeit mehr, von hier aus in den Westen des Deutschen Reiches zu gelangen. Die einzige Möglichkeit, die blieb, war – über das Eis des frischen Haffs. Auf diesem Weg ließen sich noch die Ostseehäfen Pillau, Danzig und Gotenhafen erreichen, die im Januar 1945 noch von deutschen Truppen verteidigt wurden.

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Die deutsche Marine hatte den Auftrag bekommen, neben Soldaten auch Zivilisten zu evakuieren, vor allem Frauen mit kleinen Kindern. Immer mehr Menschen flohen nun nach Pillau. Der kleine Ort mit seinen 12.000 Einwohnern war bald überfüllt. Nicht alle der zeitweise bis zu 75.000 hungernden und frierenden Flüchtlinge konnten in Turnhallen, Kasernen, Kirchen oder Privatwohnungen untergebracht werden. Viele mussten im Freien übernachten. Ab dem 25. Januar liefen Schiffe ein, um Flüchtlinge aufzunehmen – Minensucher, Torpedoboote, Kreuzer, Schlepper, Eisbrecher, Fischdampfer, Kohlefrachter und Kreuzfahrtschiffe. Die Menschen standen zu Tausenden am Hafen und warteten auf Schiffe, oft tagelang. Andere setzten hier mit Fähren auf die Frische Nehrung über, einen schmalen Landstreifen zwischen Ostsee und Haff, der noch nicht von den Sowjets eingenommen worden war und in Richtung Danzig und Pommern nach Westen führt. 

Gotenhafen fiel Ende März in sowjetische Hand, Königsberg kapitulierte am 9. April. Die letzten Schiffe verließen Pillau um den 23. April 1945. Wie viele Flüchtlinge zurückblieben, ist unbekannt. Wenige Tage später besetzten sowjetische Soldaten die Stadt nach schweren Kämpfen. Insgesamt waren von hier zwischen Januar und April 1945 rund 450.000 Flüchtlinge mit Schiffen abtransportiert worden.

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Quelle

Ein Augenzeugenbericht über die Flucht übers Haff

Vor Beginn des Trecks hatten Parteifunktionäre die Weisung ausgegeben, möglichst viel aufzupacken. Als nun die Fuhrwerke das Frische Haff erreichten, zeigt sich, dass dieser Rat unsinnig gewesen war. Das bereits brüchig gewordene Eis vermochte die überlasteten Gefährte nicht zu tragen.

Tag und Nacht ging die Fahrt. Sie hatten uns gesagt, übers Eis ginge es schneller. In der Nacht knackte das Eis lauter und lauter. Am Morgen standen die Wagen vielfach bis zur Hälfte im Wasser. Das Eis hatte sich von der Last und dem eingebrochenen Tauwetter gesenkt. Viele Pferde wollten nicht mehr. Wir hörten die feindlichen Jäger schon von weitem und waren ihnen hilflos ausgeliefert. Der dunkle Treck auf dem hellen Eis war für sie das reine Scheibenschießen. Die einzelnen Szenen, die sich dabei abspielten, sind einfach nicht zu schildern. Ein ungeheures Durcheinander, Todesschreie von Mensch und Vieh, in Brand geschossene Wagen, von Splitterbomben geborstenes Eis. Eingebrochene und verwundete Pferde. Am nächsten Tag kam noch größeres Unheil. Wir fuhren in vier bis sechs Reihen, und dann versanken plötzlich neben und hinter uns die Wagen. Ohne Schreie, völlig ohne Krachen und Bersten, waren sie verschwunden, ungefähr dreihundert auf einmal.

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Flüchtlinge und Marinesoldaten im Hafen von Pillau am 26.1.1945
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Urheber: Bundesarchiv, Bild 146-1989-033-35 / Budahn, H. / CC-BY-SA 3.0

https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Bundesarchiv_Bild_146-1989-033-35,_Pillau,_Hafen,_Marinesoldaten,_Fl%C3%BCchtlinge.jpg

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Der Hafen von Pillau mit Marinesoldaten und Flüchtlingen

Flucht aus Ostpreußen mit Kriegsfischkuttern über das Meer.
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Urheber: Bundesarchiv, Bild 146-1972-092-05 / CC-BY-SA 3.0

https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Bundesarchiv_Bild_146-1972-092-05,_Flucht_aus_Ostpreu%C3%9Fen.jpg

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Einziger Ausweg - die Flucht über das Meer

Bergung von Flüchtlingen aus Königsberg auf dem Schiff
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Urheber: Bundesarchiv, Bild 146-1972-093-65 / CC-BY-SA 3.0

https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Bundesarchiv_Bild_146-1972-093-65,_Fl%C3%BCchtlinge_auf_Schiff.jpg

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Bergung von Flüchtlingen aus Königsberg mit F.S.S. "Wedel" 1945

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Heinz-Jürgen Manier: Flucht über das Haff (1)
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Ein Zeitzeuge berichtet über die Flucht über das Haff
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Aufgabe

Kartenarbeit

  1. Verfolge auf der Karte den Fluchtweg über das Frische Haff und die Frische Nehrung nach Danzig.
  2. Erkläre, warum die Menschen die lebensgefährliche Flucht über das zugefrorene Haff auf sich genommen haben.
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Darstellung

Ein historisches Foto

Ostpreussen auf der Flucht im Frühjahr 1945 ü¨ber das Frische Haff
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Urheber: Andrej Harcow/ Nasz Baltijsk

https://jungefreiheit.de/wissen/geschichte/2019/die-flucht-ueber-das-zugefrorene-haff-aus-der-taeterperspektive/

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Flüchtlingstreck auf dem Eisweg über das Frische Haff

Der sowjetische Befehl aus dem Winter 1945 war eindeutig: „Vernichten der Kolonnen des Feindes“. Bei diesen „Feindkolonnen“ handelte es sich aber nicht um zurückziehende Wehrmachtseinheiten oder Nachschubtransporte, sondern auch um Frauen, Kinder und Alte, die sich in endlosen Trecks über das Eis des Frischen Haffs auf die Nehrung zu retten versuchten, um den letzten noch offenen Landweg aus Ostpreußen nach Westen zu erreichen.

In der polnischen Zeitung "Polskatimes" wurden darüber historische Fotos gezeigt. Die Bilder sind mit einem Bord-Fotoapparat eines sowjetischen Kampfflugzeuges aufgenommen und dokumentieren einen Luftangriff auf die unbewaffneten Flüchtlinge in Pferdekutschen auf dem Eis. Viele Pferdekutschen brachen im Eis ein, da durch die Bombenabwürfe viele Treck-Routen brüchig geworden waren.

Jürgen Heller

2. Der Untergang der Wilhelm Gustloff

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Der Name „Wilhelm Gustloff“ steht als Symbol für das Leid tausender Flüchtlinge, die zusammen mit dem Schiff im eisigen Wasser der Ostsee untergingen. Das Schiff steht für das Chaos der letzten Kriegstage in der Ostsee - aber in ihr spiegelt sich auch die Geschichte des Deutschen Reiches unter dem Nazi-Regime.

Insgesamt kamen in jenen letzten Kriegswochen bei Schiffsunglücken in der Ostsee mehr als 25.000 Menschen ums Leben. Die Mehrheit der Toten waren Flüchtlinge, die vor der Roten Armee nach Westen flohen. 

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Darstellung

Hintergrund: Der Name des Schiffes

Portrait Wilhelm gustloff
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Urheber: Ullstein bild

https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Wilhelm-Gustloff.jpg

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Wilhelm Gustloff war ein deutscher Nationalsozialist und Landesgruppenleiter der NSDAP Auslandsorganisation in der Schweiz.

Wilhelm Gustloff (* 30. Januar 1895 in Schwerin; † 4. Februar 1936 in Davos, Schweiz) war ein deutscher Nationalsozialist und Landesgruppenleiter der NSDAP-Auslandsorganisation in der Schweiz. Nach ihm wurden in der Nazi-Zeit die Wilhelm-Gustloff-Stiftung und das KdF-Kreuzfahrtschiff Wilhelm Gustloff benannt. Nachdem die Nationalsozialisten im Deutschen Reich im Januar 1933 an die Macht kamen, warb Gustloff unter den 100.000 Auslandsdeutschen in der Schweiz mehr als 5.000 als Parteimitglieder an und fand für den Nationalsozialismus auch unter den Schweizern Sympathisanten und Gönner, ohne das Ziel, die schweizerische Öffentlichkeit zu gewinnen, erreichen zu können. 

Gustloff, der zu seinem 41. Geburtstag, dem Jahrestag der 'Machtergreifung', in Berlin gewesen war, wurde nach seiner Rückkehr am 4. Februar 1936 in seiner Wohnung in Davos vom jüdischen Studenten David Frankfurter mit einem Revolver erschossen. Die nationalsozialistische Propaganda erhob Wilhelm Gustloff zum "Blutzeugen der Bewegung" und ließ seinen Sarg per Sonderzug ins Deutsche Reich bringen. Zugleich war die nationalsozialistische Führung aufgrund der angespannten außenpolitischen Lage und der am 6. Februar beginnenden Olympischen Winterspiele in Garmisch-Partenkirchen darauf bedacht, es nicht zu gewalttätigen Einzelaktionen gegen Juden kommen zu lassen. 

Das neueste und größte KdF-Schiff, damals gerade in Auftrag gegeben, hätte auf den Namen Adolf Hitler getauft werden sollen. Hitler entschied jedoch, das Schiff Wilhelm Gustloff zu nennen. Die Taufe vollzog er 1937 gemeinsam mit Hedwig Gustloff, der Witwe des Ermordeten, die vor ihrer Ehe mit Gustloff bis zum 8. November 1923 Hitlers Sekretärin gewesen war. Das Schiff wurde am 30. Januar 1945 versenkt, Gustloffs Geburtstag.

KdF: steht für die NS-Organisation "Kraft durch Freude", die Urlaubsreisen organisierte.

Jürgen Heller

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Darstellung

Hintergrund: Der Attentäter David Frankfurter

עברית: דוד פרנקפורטר מדבר במסיבת עיתונאים בתל אביב, עם עלייתו לארץ, 1945
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Urheber: לא ידוע (Transfered by מתניה/Original uploaded by עפולה)

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PD

David Frankfurter in Palästina

Der jüdische Medizinstudent David Frankfurter erschoss am 4. Februar 1936 im schweizerischen Davos den deutschen NSDAP-Landesgruppenleiter für die Schweiz, Wilhelm Gustloff. David Frankfurter sah seine Tat als politisches Fanal, als Akt des Protests gegen die antisemitische Politik Deutschlands unter dem "Führer und Reichskanzler" Adolf Hitler. Beunruhigt von den antisemitischen Ausschreitungen nach der Machtübernahme der NSDAP hatte er Deutschland verlassen. Frankfurter, 1909 in Slawonien geboren, stammte aus einer konservativen jüdischen Familie. Seine Verwandten waren geachtete Bürger, sein Onkel und sein Bruder promovierte Ärzte, ein anderer Onkel Oberrabbiner in Berlin.

Das Gerichtsurteil gegen David Frankfurter lautete schließlich auf 18 Jahre Zuchthaus wegen Mordes sowie Ausweisung aus der Schweiz nach Verbüßung der Haft. Wiederholt verlangte das NS-Regime, Frankfurter ausgeliefert zu bekommen, doch die Schweizer Regierung in Bern weigerte sich standhaft, ihn in die Hände der Gestapo zu überstellen. David Frankfurter hatte noch mehr Glück: Er musste nur die Hälfte seiner Strafe absitzen. Am 27. Februar 1945 beantragte er Straferlass. Seinem Antrag wurde am 1. Juni 1945 entsprochen, drei Wochen nach der bedingungslosen Kapitulation des Deutschen Reiches. Nach seiner Entlassung aus dem Gefängnis wartete er mit einer überraschenden Information auf. Eigentlich habe er nicht Gustloff töten wollen, sondern Adolf Hitler: "Das war mein erster Plan, aber er blieb unerreichbar." David Frankfurter emigrierte nach Israel, wo er im Juli 1982 starb.

Jürgen Heller

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Darstellung

Kraft durch Freude

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Urheber: Ericmetro

https://de.wikipedia.org/wiki/Datei:KdF_Symbol.svg

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Werbe- und Propagandaemblem der Organisation Kraft durch Freude

Die Gemeinschaft "Kraft durch Freude" wurde am 27. November 1933 gegründet. Als Vorbild diente das Freizeitwerk "Dopolavoro" (nach der Arbeit) des italienischen Diktators Benito Mussolini. Der Chef der "Deutschen Arbeitsfront" Robert Ley war es, der Hitler vorschlug, in Deutschland eine ähnliche Organisation zu gründen. Schließlich sollte auch die Freizeit der Deutschen der Erbauung und Ertüchtigung im Geiste des Nationalsozialismus dienen. Die Organisation bot ein Erholungsprogramm, das oftmals aus Reisen bestand. In den Genuss dieser Wohltaten kamen allerdings nur wenige Menschen.

Werbung des Gauamtes Mainfranken für die Organisation Kraft durch Freude.
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Urheber: Giorno2

https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Kraft_durch_Freude_%28Mainfranken%29.jpg

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Werbung des Gauamtes Mainfranken für die Organisation "Kraft durch Freude"

Die NS-Propaganda wurde nicht müde, "Kraft durch Freude" als eine Organisation zu preisen, die soziale Ungleichheiten einebnete und eine Volksgemeinschaft konstituierte, in der jeder Deutsche unabhängig von Schicht und Einkommen dieselben Rechte auf Erholung und Entspannung besaß. Am beliebtesten bei den deutschen "Volksgenossen" war zweifellos ein Urlaub mit "Kraft durch Freude", damals der größte Reiseveranstalter weltweit. "Kraft durch Freude" besaß eine eigene Hochseeflotte. Luxusschiffe wie die "Wilhelm Gustloff" beförderten auf Kreuzfahrten im Laufe der Jahre Tausende Urlauber nach Norwegen, Madeira oder Italien – Länder, die dem faschistischen Deutschland wohlgesonnen waren. In den Genuss einer Kreuzfahrt kamen allerdings nur hohe Funktionäre der NSDAP oder gut verdienende "Volksgenossen", die sich eine Schiffspassage leisten konnten.

Jürgen Heller

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Lazarettschiff
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Urheber: Bundesarchiv, Bild 183-L12214 / Augst / CC-BY-SA 3.0

https://commons.wikimedia.org/wiki/Category:Wilhelm_Gustloff_(ship,_1938)?uselang=de#/media/File:Bundesarchiv_Bild_183-L12212,_Lazarettschiff_%22Wilhelm_Gustloff%22.jpg

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Die "Wilhelm Gustloff" als Lazarettschiff

Lazarettschiff
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Urheber: Bundesarchiv, Bild 183-L12208 / CC-BY-SA 3.0

https://de.wikipedia.org/wiki/Datei:Bundesarchiv_Bild_183-L12208,_Lazarettschiff_%22Wilhelm_Gustloff%22.jpg

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Foto von Bord des Lazarettschiffs, 1940

Sonderbriefmarke Wilhelm Gustloff - in front of Madeira -Winterhilfswerk Reichspost 1937
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Urheber: Privat Jürgen Heller Briefmarkensammlung

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Sonderbriefmarke "Wilhelm Gustloff" (Fahrt nach Madeira), Reichspost 1937

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Die letzte und todbringende Fahrt des Schiffes begann Ende Januar 1945. Die Rote Armee rückte näher. Die "Wilhelm Gustloff" soll Flüchtlinge aus Ostpreußen über die Ostsee nach Westen bringen. Sie war inzwischen militärisch grau gestrichen. 7.956 Menschen waren an Bord offiziell registriert, doch es wird geschätzt, dass weitere 2.500 Flüchtlinge den Weg auf die Decks fanden. Am 21. Januar 1945 erteilte Großadmiral Karl Dönitz dann den Befehl, alle verfügbaren deutschen Schiffe sollten retten, "was vor den Russen zu retten ist". Gemeint waren Frauen, Kinder, verwundete Soldaten und die U-Boot-Kadetten, die noch gebraucht wurden. Als die Gustloff am 30. Januar 1945 mittags den Hafen verließ, drängten sich mehr als 10.000 Menschen an Bord.

Die schlimmste Schiffskatastrophe der Moderne

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Briefmarke des russischen U-Bootes S-12
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Urheber: Privat Jürgen Heller Briefmarkensammlung

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Russische Gedenkbriefmarke des U-Bootes S 13

Am Abend des 30. Januar trafen drei Torpedos des sowjetischen U-Boots S-13 die Gustloff. Diese sank innerhalb einer Stunde. Im eisigen Wasser konnte niemand lange überleben. Hilfe wurde herbeigefunkt. Torpedoboote nahmen Schiffbrüchige auf. Spätere Helfer fuhren durch ein Leichenfeld. Über 10.000 Menschen waren an Bord: ca. 9.000 Flüchtlinge aus Ostpreußen, Westpreußen, Danzig und Pommern, davon rund 5.000 Kinder. 918 Soldaten, 373 Marinehelferinnen, 162 Schwerverwundete des Heeres und 173 Besatzungsmitglieder der Handelsmarine.

Über 9.000 Menschen kamen ums Leben, 1.239 wurden gerettet. Der Untergang der "Wilhelm Gustloff" gilt bis heute als verlustreichste Schiffskatastrophe der Moderne. 

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Darstellung

Wer trägt die Schuld?

Die Briefmarke von den Malediven zeigt sowohl die Wilhelm Gustloff, als auch das russische U-Boot S-13.
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Urheber: Privat Jürgen Heller Briefmarke der Malediven

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Eine Briefmarke von den Malediven zeigt das russische U-Boot und die Wilhelm Gustloff.

Die Schiffskatastrophe der Wilhelm Gustloff ist unmittelbar im Zusammenhang mit dem Zweiten Weltkrieg zu sehen. Sie war die Folge des Krieges, der von Deutschland ausgegangen ist und nach Deutschland zurückgekehrt ist. Die gesamte Ostsee-Schifffahrt war im Frühjahr 1945 militärischen Zielen untergeordnet. Viele Überlebende hielten den Angriff für ein Kriegsverbrechen, weil hauptsächlich Frauen und Kinder an Bord gewesen waren. 

Nach Meinung von Experten war die Versenkung der Gustloff aber kein Kriegsverbrechen. Das Schiff hatte Soldaten an Bord, war mit Flakgeschützen ausgestattet und fuhr unter Geleitschutz. Hitlers Reichsregierung selbst hatte die Ostsee am 11. November 1944 zum sogenannten Operationsgebiet erklärt. Deutsche Kriegsschiffe sollten auf alles feuern, was schwamm. Und damit galten für den Gegner die gleichen Rechte. Auch die deutschen U-Boot-Besatzungen hatten ausdrücklich den Befehl, keine Schiffbrüchigen von Handelsschiffen aufzunehmen, die sie versenkt hatten.

Jürgen Heller

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Gustloff-Überlebender Horst Schön über den Untergang des Schiffes | Kurzfassung
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Der Funker und Augenzeuge Heinz Schön vom Untergang der Wilhelm Gustloff
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Aufgabe

Der Untergang der "Wilhelm Gustloff"

Es gibt heute zwei Perspektiven auf den Untergang der "Wilhelm Gustloff":

  • Er war eine Tragödie, also ein schreckliches, schicksalhaftes Ereignis, das nur deshalb geschehen konnte, weil in der Ostsee Krieg geführt wurde.
  • Er war ein Verbrechen, also das Ergebnis der böswilligen Entscheidung eines Menschen (oder einer Gruppe von Menschen), der sich auch anders hätte entscheiden können.

Wähle die Perspektive, die für dich am plausibelsten ist und begründe deine Wahl.

3. Der Untergang in Film und Literatur

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Darstellung

Günter Grass: Im Krebsgang

Portrait Günter Grass
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Urheber: Blaues Sofa from Berlin, Deutschland

https://de.m.wikipedia.org/wiki/Datei:G%C3%BCnter_Grass_auf_dem_Blauen_Sofa.jpg

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Im Krebsgang von Günter Grass, geboren 1927 in Danzig, gestorben 2015 in Lübeck

Die Auseinandersetzung mit und die Diskussion über Flucht und Vertreibung fand in Deutschland sehr stark auch in der Literatur statt. Zur Debatte hat auch der Schriftsteller Günter Grass mit seiner im Jahr 2002 erschienene Novelle "Im Krebsgang" beigetragen. Ähnlich wie in früheren Werken beschäftigt sich Grass hier sehr ausführlich mit der Wirkung der Vergangenheit auf die Gegenwart und mit deren Verarbeitung. Durch das Erscheinen von Günter Grass' Novelle, die sich der Torpedierung und dem Untergang des Flüchtlingsschiffes "Wilhelm Gustloff" widmet, scheint sich das Interesse für die Zeit danach, für ihre Tragödien und ihren Aufbruch, unbefangener zu artikulieren. Mit Flucht und Vertreibung kehrte ein Thema in die öffentliche Debatte zurück, das jahrzehntelang auch als anstößig und rückwärtsgewandt, ja sogar revanchistisch galt. Es war der über jeden Revanchismus-Verdacht erhabene Günter Grass, der mit seiner Novelle versuchte, die deutschen Opfer der letzten Kriegsphase zu thematisieren. Gerade ihm waren die Ursachen des Krieges und die Schuld vieler Deutscher sehr bewusst.

Jürgen Heller

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Im Krebsgang to go (Grass in 9 Minuten)
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Im Krebsgang - eine Novelle von Günter Grass
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Darstellung

Der Film 'Nacht fiel über Gotenhafen' (1959)

Schon 14 Jahre nach Kriegsende wurde in Deutschland der Film 'Nacht fiel über Gotenhafen' gedreht, der vom Untergang der Gustloff handelt. Der Film erzählt die Geschichte einer Frau, die während des Krieges von Berlin nach Ostpreußen flieht, von dort dann beim Eintreffen der Roten Armee mit einem Flüchtlingstreck nach Gotenhafen (Gdingen) flieht und dort versucht, mit der Gustloff zu entkommen. Die Protagonistin stirbt beim Untergang, ihr auf der Flucht geborenes Kind wird gerettet.

Der Film ist heute eine interessante Quelle darüber, wie man 1959 auf die Ereignisse beim Kriegsende sah. Der Film stellt einfühlsam das Leid der Flüchtlinge dar und weist die Verantwortung für die schrecklichen Ereignisse vor allem dem Krieg an sich zu. Es fällt aber auch auf, dass die im Film auftauchenden Wehrmachtssoldaten allesamt sehr positiv und hilfsbereit dargestellt werden, was der damals verbreiteten Sichtweise entspricht, die Wehrmacht sei eine 'saubere Armee' gewesen, die mit den Verbrechen der Nationalsozialisten nichts zu tun gehabt habe.

Lukas Epperlein

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Nacht fiel über Gotenhafen - Die Katastrophe der Wilhelm Gustloff (Spielfilm v 1959)
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Der Film 'Nacht fiel über Gotenhafen' (1959)
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Aufgabe

künstlerische Verarbeitung?

Ereignisse wie der Untergang der "Wilhelm Gustloff" lassen viele Menschen (v.a. Überlebende und Angehörige) tief verletzt und traumatisiert zurück. Viele kämpfen jahre- und jahrzehntelang damit, die Ereignisse zu verarbeiten und wieder ein 'normales Leben' führen zu können.

Können Filme und literarische Bücher bei dieser Verarbeitung helfen? Begründe deine Meinung.

Exkurs: Flüchtlingsschiffe gestern und heute

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Anfang 1945 flüchteten mehr als zwei Millionen Menschen über die Ostsee in den Westen. Die Rote Armee versuchte so viele Schiffe wie möglich zu versenken. Zu ihnen gehörte kurz vor Kriegsende die "Goya". Das mit Tausenden Flüchtlingen beladene Frachtschiff wurde am 16. April 1945 von einem sowjetischen U-Boot versenkt. Der Frachter sank in sieben Minuten und riss 7.000 Menschen in den Tod. 

Eine weitere große Schiffskatastrophe ereignete sich am 3. Mai 1945 in der Lübecker Bucht, bei der nochmals mehr als 7.000 Menschen ums Leben kamen. Sie sind Opfer eines folgenschweren Irrtums: Britische Bomber versenkten das deutsche Passagierschiff "Cap Arcona" und den Frachter "Thielbek" vor Neustadt in Holstein. Die drei Kilometer vor der Küste liegenden Schiffe waren eher zufällig ins Fadenkreuz geraten. An Bord waren allerdings nicht, wie angenommen, deutsche Truppenverbände, sondern hauptsächlich evakuierte Häftlinge aus dem Hamburger KZ Neuengamme. Sie waren zu Fuß und in Güterzügen in den letzten April-Tagen nach Lübeck getrieben worden. Bei den Aufklärungsflügen der Royal Air Force wurden die winkenden Häftlinge nicht erkannt. So lautete dann der schicksalsträchtige Einsatzbefehl: "Zerstörung der feindlichen Schiffsansammlung in der Lübecker Bucht". Am frühen Nachmittag flogen dann die britischen Bomber ihre Angriffe auf die beiden Schiffe. Von den 4.500 KZ-Häftlingen an Bord der Cap Arcona überlebten 350, von den 2.800 KZ-Häftlingen auf dem Frachter "Thielbek" erreichten nur 50 das rettende Ufer.

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Urheber: unbekannt

https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Cap_Arcona_1.JPG

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Passagierschiff Cap Arcona

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Urheber: Bundesarchiv, N 1572 Bild-1925-079 / Fleischhut, Richard / CC-BY-SA 3.0

https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Bundesarchiv_N_1572_Bild-1925-079,_Polarfahrt_mit_Dampfer_%22M%C3%BCnchen%22,_Advent-Bay.jpg

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Passagierschiff Steuben

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https://commons.wikimedia.org/wiki/File:PikiWiki_Israel_7766_Exodus_1947.jpg

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Flüchtlingsschiff Exodus 1947

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https://commons.wikimedia.org/wiki/File:StLouisHavana.jpg

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Die Irrfahrt des Flüchtlingsschiffes St. Louis 1939

Cap Anamur II bei der Ankunft in Hamburg, 1986
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https://en.wikipedia.org/wiki/Cap_Anamur#/media/File:Cap_Anamur_II_arriving_in_Hamburg,_Germany_Summer_1986.jpg

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"Ein Schiff für Vietnam" (französisch "Un bateau pour le Vietnam"), war eine Aktion französischer linker Aktivisten, die vor dem Hintergrund der Kriegsgräuel in Vietnam humanitäre Hilfe für die Zivilbevölkerung leisteten. Der deutsche Ableger "Ein Boot für Vietnam" e. V. charterte den Stückgutfrachter Cap Anamur und rettete ab 1979 mit ihm über 11.000 Flüchtlinge aus dem Südchinesischen Meer.

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Darstellung

Die Irrfahrt der "Exodus"

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Urheber: Privat Jürgen Heller Israelische Briefmarke

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Israelische Briefmarke des Flüchtlingsschiffes "Exodus"

Im Sommer 1947 versuchten über 4.500 jüdische Holocaust-Überlebende von der französischen Hafenstadt Sete aus mit einem alten US-Dampfschiff in das damalige britische Mandatsgebiet "Palästina" zu gelangen. In internationalen Gewässern vor der Küste von Haifa wurde die „Exodus“ von britischen Kriegsschiffen gerammt und nach schweren Kämpfen an Bord in den Hafen von Haifa geschleppt. 200 Menschen wurden verletzt, vier starben. Die Briten brachten die Flüchtlinge gewaltsam auf drei Schiffe und schickten sie nach Frankreich zurück. Dort weigerten sich die Flüchtlinge von Bord zu gehen. Auf Befehl der britischen Regierung fuhren die Schiffe weiter nach Hamburg, von wo die Menschen gegen ihren Willen zwischen dem 8. und 10. September 1947 von der britischen Besatzungsmacht in zwei Lagern bei Lübeck interniert wurden. Das bedeutete, dass die meisten Juden wieder in Deutschland waren, dem Land, dem sie gerade mit dem Leben entkommen waren. "EXODUS 1947" empörte die Weltöffentlichkeit und hatte wesentlichen Anteil daran, dass die Vereinten Nationen schließlich für die Gründung des Staates Israel stimmten. Erst nach der Staatsgründung im Mai 1948 konnten Juden nach Israel einwandern. Im Jahr 1952 brannte die "Exodus" im Hafen von Haifa nach einem Unfall aus und wurde versenkt.

Jürgen Heller

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Darstellung

Die Irrfahrt der "St. Louis" 1939

Die Irrfahrt der "St. Louis" war eine Reise von 937 nahezu ausnahmslos deutschen Juden auf der St. Louis, einem Passagierschiff der Hamburger Reederei HAPAG, von Mai bis Juni 1939 von Hamburg nach Kuba und Antwerpen. Die Passagiere wollten, um dem NS-Regime zu entkommen, nach Kuba emigrieren, erhielten aber weder dort noch in den USA oder Kanada eine Landeerlaubnis. Das Schiff musste auf Anweisung der Reederei im Juni 1939 nach Europa zurückkehren, woran auch ein Versuch der Passagiere, das Kommando über das Schiff zu übernehmen, nichts änderte.

Kapitän Schröder setzte sich weiterhin für die Flüchtlinge ein. Er erwog sogar, eine Havarie vor der britischen Küste vorzutäuschen, damit seine Passagiere dort an Land genommen würden. Die belgische Regierung erlaubte schließlich die Landung in Antwerpen. Die Passagiere wurden von Antwerpen aus von Belgien, den Niederlanden, Frankreich und Großbritannien aufgenommen.

Jürgen Heller

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Aufgabe

Flucht über das Meer

  1. Recherchiert den Verlauf der Irrfahrten der Exodus (1947) und der St. Louis (1939). Was passierte mit den jüdischen Passagieren an Bord?
  2. Auch heute wagen Flüchtlinge den gefährlichen Weg über das Meer. Sprecht über Gemeinsamkeiten und Unterschiede von gestern und heute.
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SchiffJahrZiel/StreckeToteUrsache
Wilhelm Gustloff1945Gotenhafen-Kiel9.343Russisches U-Boot S-13
Cap Arcona1945Lübecker Bucht4.000Britische Bomber
Thielbek1945Lübecker Bucht2.750Britische Bomber
Steuben1945Pillau-Kiel3.500Russisches U-Boot S-13
Goya1945Danziger Bucht7.000Russisches U-Boot L-3
Exodus1947Sete-PalästinaKZ-Überlebende
St. Louis1939Hamburg-Kuba-AntwerpenJüdische Emigranten
Fachliteratur

Zusammenfassung: Flucht über Eis und Meer

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