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4.6 'Wilde Vertreibungen' und staatliche Pläne: Beispiele Polen und Tschechoslowakei

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https://www.google.de/search?q=Polske+Oczyscim

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Polnisches Propagandaplakat zur Vertreibung der Deutschen.

4.6 'Wilde Vertreibungen' und staatliche Pläne: Beispiele Polen und Tschechoslowakei

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Im Winter 1944/45 zog die Kriegsfront über die deutschen Ostgebiete hinweg. In einem 'normalen' Krieg wäre die Sache für die Deutschen, die noch in den Ostgebieten lebten, erledigt gewesen. Sie waren erobert, der Krieg war für sie vorbei. Doch dieser Krieg wurde geführt, um Grenzen und Bevölkerungen dauerhaft zu verschieben. Die Deutschen hatten in Osteuropa ganze Regionen entvölkert, um 'Lebensraum' zu schaffen. Die Sowjets wiederum hatten Pläne, die Deutschen aus den Ostgebieten zu entfernen, um Osteuropa nach ihren Vorstellungen umzugestalten. Die verbliebenen Deutschen wurden nun Opfer genau dieser Pläne. 

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Die ersten Vertreibungen im Anschluss an die Eroberung deutscher Gebiete durch das Nazi-Regime erfolgten durch die Rote Armee. Sie wurden bis zur Potsdamer Konferenz im Juli und August 1945 als wilde und willkürliche Vertreibungen bezeichnet. Bereits im Winter 1944/45 entlud sich in den zuerst eroberten Gebieten Ostpreußens und Schlesiens in vielen Fällen der Hass der sowjetischen Soldaten. Auch bei Teilen der polnischen und tschechischen Bevölkerung flossen Vergeltungsgefühle in die nun folgenden Ausschreitungen gegenüber Deutschen ein. Häufig kam es zu Plünderungen, Vergewaltigungen und Lynchjustiz. 

Die „wilden Vertreibungen“  von ca. 400.000 Deutschen geschahen aber oft weder spontan noch zufällig. Sie waren in den meisten Fällen von Soldaten, Polizei und lokalen Milizen gesteuert. Die Vertreibungsaktionen bestanden in Ausweisungsbefehlen, langen Fußmärschen, Plünderungen und schließlich im Abtransport in Güter- und Viehwagen. Diese Aktionen hatten ein politisches Ziel: Bis zur Potsdamer Konferenz sollten möglichst unumkehrbare Fakten geschaffen werden, die ehemaligen deutschen Ostgebiete und die Tschechoslowakei sollten weitgehend frei von Deutschen sein.

Eindrucksvolles Bildmaterial zum Thema findest du unter diesem Link.

1. Wie wild waren die Vertreibungen?

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Ein tschechisches Regierungsmitglied Der 'BrĂĽnner Todesmarsch'
Eduard GoldstĂĽcker: Wilde Vertreibungen
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Eduard GoldstĂĽcker, ein Mitglied der tschechischen Exilregierung
DLF 31.05.1945 Der Beginn des „Brünner Todesmarsches“
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Ein Radiobeitrag zum sog. 'BrĂĽnner Todesmarsch'
Ein tschechisches Regierungsmitglied Der 'BrĂĽnner Todesmarsch'
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Aufgabe

  1. Vollziehe die Argumentation von Eduard Goldstücker in eigenen Worten nach. Warum spricht er von wilden Vertreibungen?
  2. StĂĽtzt der Radiobeitrag zum 'BrĂĽnner Todesmarsch' seine Argumentation oder widerlegt er sie? BegrĂĽnde deine Meinung.

2. 'Wilde Vertreibungen' aus Polen

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Aufgestachelt durch Aufrufe im Rundfunk und durch gezielte Hetze auf Flugblättern sollten in kurzer Zeit möglichst viele Deutsche aus ihrer Heimat vertrieben werden. Von Juni bis Mitte Juli vertrieben polnisches Militär und die Miliz beispielsweise fast die gesamte deutsche Bevölkerung der Oder-Neiße-Region. Schätzungen gehen davon aus, dass darüber hinaus etwa 400.000 Deutsche in Polen und den deutschen Ostgebieten von der 'wilden Vertreibung' betroffen waren. 

Nach einem festen Plan sollten die Ortschaften nach Deutschen durchsucht werden. Auf dem meistens zu Fuß zurückgelegten Weg waren die Vertriebenen Plünderungen und Gewalttaten ausgesetzt. Ein Teil der Deutschen wurde zunächst noch in Internierungslagern festgehalten, ein anderer Teil in den oberschlesischen Bergwerken zur Zwangsarbeit verpflichtet und eine weitere Gruppe von den Sowjets zur Zwangsarbeit in die UdSSR deportiert. Vor allem im Juni und Juli 1945 kam es zu 'wilden Vertreibungen' von etwa einer halben Million Deutschen mit vielen Todesopfern durch polnische Truppen und Milizen. Auch nach dem Postdamer Abkommen kam es entgegen den Beschlüssen zu weiteren 'wilden Vertreibungen'. In der Folge wurden alle sichtbaren Zeugnisse der deutschen Vergangenheit getilgt, Ortsnamen verändert, Ladenschilder, Aufschriften, Statuen, Denkmäler und anderes vielfach entfernt. Insgesamt waren aus dem Raum des heutigen Polen etwa 3,5 Millionen Deutsche geflohen oder vertrieben worden.

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Umsiedlung der Deutschen aus den Polen zugesprochenen Gebieten östlich von Oder und Neiße.- Ein unformierter Pole kontrolliert 2 vollbeladene Anhänger (1945?)
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Urheber: Bundesarchiv, Bild 146-1970-008-25 / CC-BY-SA 3.0

https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Bundesarchiv_Bild_146-1970-008-25,_Umsiedlung_von_Deutschen.jpg

Cc3BYSA

Ein polnischer Soldat kontrolliert 1945 die vollbeladenen Anhänger deutscher Vertriebenen

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Quelle

Bericht einer Frau aus Sorau (Niederlausitz, östlich der Neiße):

Am 23. Juni 1945 wurden wir vollkommen überraschend binnen 10 Minuten von Polen ausgewiesen. Ich konnte bloß mein einjähriges Enkelkind herunterschleppen, danach den Kinderwagen, den sie mir schon teilweise ausgeplündert hatten. Es war ein Elendszug, denn Züge gingen ja nicht. Leiterwagen, Schubkarren, Kinderwagen, Schiebekarren, man sah die unmöglichsten Gefährte. Von morgens 4 Uhr bis abends 7 Uhr durfte man auf den Landstraßen bleiben, dann schlief man entweder im Walde, in Scheunen oder leeren Wohnungen. 

Dokumentation der Vertreibung der Deutschen aus Ostmitteleuropa. Hrsg. v. Bundesministerium f. Vertriebene und Flüchtlinge und Kriegsgeschädigte. Band I, 2. Bonn 1954, S. 688 f.

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Quelle

Ausweisungsbefehl

Plakatanschlag - sonderbefehlt für die deutsche Bevölkerung der Stadt Bad Salzbrunn.
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Urheber: Polnische Regierung - Nach deutschem Urheberrecht gemeinfrei

https://de.wikipedia.org/wiki/Datei:Bad_Salzbrunn_Sonderbefehl_1945.jpg

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Plakatanschlag - Vertreibungsbefehl der polnischen Regierung  vom 14. Juli 1945 für Bad Salzbrunn, Schlesien.

Plakat Ausweisungsbefehl in Bad Salzbrunn

Zeitzeugenerinnerungen
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Hellmuth Karasek Irmingard Gattner Johanna Blanz
Hellmuth Karasek: Aussiedlung aus Schlesien
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Irmingard Gattner: Armbinde fĂĽr Deutsche
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Johanna Blanz: Registriert und interniert
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Hellmuth Karasek Irmingard Gattner Johanna Blanz
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Darstellung

Die polnische Westverschiebung

Auf der Teheran-Konferenz 1943 und den Folgekonferenzen in Jalta und Potsdam wurde von den alliierten Westmächten und der UdSSR beschlossen, dass der Staat Polen wiederhergestellt, aber dauerhaft nach Westen verschoben werden sollte (Westverschiebung Polens). Die deutsche Bevölkerung sollte „ausgesiedelt“ werden. Ostpolen wurde endgültig Teil der Sowjetunion. Seine polnische Minderheitsbevölkerung wurde in die ehemals deutschen Gebiete umgesiedelt. Im Osten handelte es sich also – ausgehend von den von 1918 bis 1939 anerkannten Grenzen der Zweiten Polnischen Republik – um eine Teilung des ehemaligen Staatsgebiets. 

Zum Ausgleich sollte Polen im Westen Gebiete hinzugewinnen. Die Oder-Neiße-Grenze als neue Westgrenze Polens sollte die Annexion Ostpolens durch die Sowjetunion auf Kosten des besiegten Deutschen Reichs für die polnische Seite akzeptabler machen. Diese wurde zunächst von der DDR 1950 in einem Vertrag mit Polen akzeptiert und war in der Bundesrepublik lange umstritten. Erst 1970 im Warschauer Vertrag kam es zu einer vorübergehenden Anerkennung der Grenze durch Westdeutschland und im Zuge der deutschen Wiedervereinigung 1990 dann zu einer vertraglichen Regelung auch mit Gesamtdeutschland.

Deutsches Poleninstitut - Die Vertreibung der Deutschen aus Polen.

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Die Westverschiebung Polens nach dem Zweiten Weltkrieg
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© Cornelsen, Polnische Geschichte und deutsch-polnische Beziehungen, Berlin 2007, S. 85.

Arrc

Die Westverschiebung Polens

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  1. Vergleiche in der Karte "Die Westverschiebung Polens" die Grenzen des Landes von 1939 und 1945. Was fällt dir dabei besonders auf?
  2. Auf welcher Fläche welcher heute bestehender Länder lag das polnische Staatsgebiet von 1939?
  3. Erkläre den Zusammenhang zwischen der Westverschiebung Polens und der Vertreibung der Deutschen in eigenen Worten.
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Darstellung

Drei Streichhölzer

§ PD

Drei Streichhölzer symbolisieren das Gedankenspiel einer Westverschiebung der Staatsgrenzen

Mit drei symbolischen Zündhölzern demonstriert Churchill das Gedankenspiel einer Verschiebung der Staatsgrenzen. Das Streichholz ganz links steht für Deutschland, daneben in der Mitte ein Holz für Polen, rechts liegt die Sowjetunion. Churchill schiebt das sowjetische Streichholz nach links, drückt die anderen beiden dadurch nach links weg. "Wie Soldaten, die seitlich wegtreten" sei das, so der englische Premier. Wenn man dabei auf einige deutsche Zehen trete, sei das nicht zu ändern. Mit drei Streichhölzern wird der künftige territoriale Status Polens und Deutschlands besiegelt. Polens Landesgrenzen werden westwärts verschoben. Im Klartext heißt das: Ostpolen fällt an Stalin und wird der Sowjetunion einverleibt. Polen soll dafür mit den ostdeutschen Gebieten entschädigt werden. Deutschlands neue Grenze wird entlang der Flüsse Oder und Neiße gezogen. Ostpreußen, Pommern, die Kurmark und Schlesien werden polnisch. Die Polen müssen die ostpolnischen Gebiete für Russen freimachen und sollen in die deutschen Ostgebiete umgesiedelt werden. Die Deutschen aus den Ostgebieten sollen den Platz für die ihrerseits vertriebenen Ostpolen räumen und ins restliche Deutschland zwangsausgewiesen werden. Der englische Premier und der russische Diktator legen hier, im November 1943, den Grundstein für eine der größten humanitären Katastrophen des 20. Jahrhunderts: die gewaltsame Vertreibung von Millionen Polen und Deutschen am Ende des Zweiten Weltkriegs.

Planet Wissen

3. 'Wilde Vertreibungen' aus der Tschechoslowakei

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Massengrab für 186 Opfer des Brünner Todesmarsches im Jahr 1945 auf dem Ortsfriedhof von Drasenhofen in Niederösterreich
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Urheber: GuentherZ

https://de.wikipedia.org/wiki/Datei:2015-06-22_(20)_GuentherZ_Drasenhofen_Friedhof_Massengrab_verstorbene_Vertriebene.JPG

Cc3BYSA

Gedenktafel an einem Massengrab für 186 Opfer des Brünner Todesmarsches auf dem Ortsfriedhof von Drasenhofen in Niederösterreich

In der Tschechoslowakei begannen die 'wilden Vertreibungen' im Mai 1945 im Rahmen des „Prager Aufstandes“ gegen die deutschen Besatzungstruppen. Es kam zu Exzessen außerdem in Brünn, Aussig und anderen Städten der Tschechoslowakei. Die Ausschreitungen forderten Tausende von Opfern. Schätzungsweise 450.000 Deutsche, meist Ältere, Frauen und Kinder, wurden in der Phase der 'wilden Vertreibungen' aus der Tschechoslowakei vertrieben. 

Diese wilden Vertreibungen waren geprägt durch Misshandlungen und Lynchjustiz. Die Deutschen mussten mit erhobenen Händen durch die Straßen laufen, begleitet von Faustschlägen, Fußtritten und wüsten Beschimpfungen. Einzelnen Frauen wurden die Köpfe kahl geschoren, die Kleider vom Leib gerissen und Hakenkreuze auf Brust und Rücken gepinselt. 

Beim sog. „Brünner Todesmarsch“ mussten 25.000 Sudetendeutsche, meist Kinder, Frauen und alte Männer 60 km bis zur Grenze laufen. Mindestens 2.000 starben an den Folgen von Erschöpfung, Hunger und Durst oder wurden umgebracht. 

Am 31. Juli kam es auch in Aussig an der Elbe zu einem Massaker. Nach der Explosion einer Munitionsfabrik wurden deutsche Zivilisten von tschechischen Revolutionsgarden ohne nähere Untersuchung als Schuldige ausgemacht. Die Menschen wurden erschlagen, mit Bajonetten erstochen oder von der Elbebrücke gestoßen und im Wasser beschossen. Die genaue Opferzahl ist bis heute nicht bekannt.

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Darstellung

Ein Radiobeitrag zum Massaker von Aussig

Über diesen Link findest du einen Radiobeitrag des SR zum Massaker von Aussig am 31.7.1945.

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Stellungnahme

Auge um Auge? Das SS-Massaker im tschechischen Lidice

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Urheber: Michael Ritter CC BY-SA 3.0)

https://commons.wikimedia.org/w/index.php?search=Lidice+&title=Special:MediaSearch&fulltext=Suche+&type=image

Cc3BYSA

Gedenk- und Erinnerungsstätte an das Massaker von Lidice.

Eine starke Verschärfung der politischen Lage im Sudetenland trat ein, als Heydrich als sogenannter stellvertretender Reichsprotektor ins Protektorat geschickt wurde. Innerhalb von nur wenigen Wochen wurden mehr als 400 Menschen ermordet. Ende Mai 1942 verübten von der tschechoslowakischen Exilregierung in London beauftragte Attentäter einen Mordanschlag auf Heydrich, dem er wenige Tage später erlag. Als Vergeltungsaktion für das von tschechoslowakischen Widerstandskämpfern am 27.5.1942 verübte Attentat auf den Nazi-Statthalter in Prag, Heydrich, überfiel die SS am 9. Juni 1942 die fast 500 Einwohner zählende Gemeinde Lidice. Als Vorwand diente die – falsche – Behauptung, Einwohner hätten den Attentätern Unterschlupf gewährt. In der Nacht zum 10. Juni wurden alle Männer erschossen, Frauen und Kinder in das Konzentrationslager Ravensbrück verschleppt. Das Dorf wurde dem Erdboden gleichgemacht. Lidice wurde zu einem einschneidenden Ereignis und verschärfte immer tiefer die Kluft zwischen Tschechoslowaken und Sudetendeutschen.

Lidice nach der Zerstörung 1942
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Urheber: Bundesarchiv Bild 146-1993-020-26A

https://commons.wikimedia.org/w/index.php?search=Bundesarchiv+Lidice&title=Special:MediaSearch&fulltext=Suche+&type=image

Cc3BYSA

Lidice nach der Zerstörung des Ortes duch die Nazis 1942.

JĂĽrgen Heller

4. Die Beneš-Dekrete

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Edvard Beneš, second President of Czechoslovakia and leader of the Czechoslovak government-in-exile.
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Urheber: Unknown. Transfer; United States. Office of War Information. Overseas Picture Division. Washington Division; 1944.

https://de.wikipedia.org/wiki/Edvard_Bene%C5%A1#/media/Datei:Edvard_Bene%C5%A1.jpg

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Edvard Beneš, 1942

Die Vertreibung der Deutschen aus der Tschechoslowakei ist eng mit den Verfassungsdekreten von Edvard Beneš verbunden. Beneš war bis Kriegsende Chef der tschechischen Exilregierung und von 1945 bis 1948 Präsident der Tschechoslowakei. Seine Regierung erließ mehrere Gesetze, durch die die Vertreibung und Entrechtung der Deutschen in der Tschechoslowakei rechtlich abgesichert wurden. 

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Quelle

Auszug aus den sogenannten Benesch-Dekreten

Dekret Nr. 5 vom 19. Mai 1945:

§ 2

(1) Das im Gebiet der Tschechoslowakischen Republik befindliche Vermögen der staatlich unzuverlässigen Personen wird gemäß den weiteren Bestimmungen dieses Dekrets unter nationale Verwaltung gestellt […]

§ 4

Als staatlich unzuverlässige Personen sind anzusehen:

a) Personen deutscher oder magyarischer (= ungarischer) Nationalität […]


Dekret Nr. 33 vom 2. August 1945: 

§ 1

(1) Die tschechoslowakischen Staatsbürger deutscher oder magyarischer Nationalität, die nach den Vorschriften einer fremden Besatzungsmacht die deutsche oder magyarische Staatsangehörigkeit erworben haben, haben mit dem Tage des Erwerbs dieser Staatsangehörigkeit die tschechoslowakische Staatsbürgerschaft verloren.
(2) Die übrigen tschechoslowakischen Staatsbürger deutscher oder magyarischer Nationalität verlieren die tschechoslowakische Staatsbürgerschaft mit dem Tage, an dem dieses Dekret in Kraft tritt […]

§ 2

(1) Personen, welche unter die Bestimmungen des § 1 fallen und nachweisen, dass sie der Tschechoslowakischen Republik treu geblieben sind, sich niemals gegen das tschechische und slowakische Volk vergangen und sich entweder aktiv am Kampf um seine Befreiung beteiligt oder unter dem nazistischen oder faschistischen Terror gelitten haben, bleibt die tschechoslowakische Staatsbürgerschaft erhalten.

Gesetz Nr. 115/1946: Straflosstellung von Vertreibungsverbrechen bis zum 28. Oktober 1945 

§ 1 

Eine Handlung, die in der Zeit vom 30. September 1938 bis zum 28. Oktober 1945 vorgenommen wurde und deren Zweck es war, einen Beitrag zum Kampf um die Wiedergewinnung der Freiheit der Tschechen und Slowaken zu leisten, oder die eine gerechte Vergeltung für Taten der Okkupanten oder ihrer Helfershelfer zum Ziele hatte, ist auch dann nicht widerrechtlich, wenn sie sonst nach den geltenden Vorschriften strafbar gewesen wäre.

§ 2.1 

Ist jemand fĂĽr eine solche Straftat bereits verurteilt worden, so ist nach den Vorschriften ĂĽber die Wiederaufnahme des Strafverfahrens vorzugehen.

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Aufgabe

  1. Gib den Inhalt der im Quellenkasten oben aufgefĂĽhrten Dekrete in eigenen Worten wieder. Was bedeuteten sie fĂĽr die Deutschen in der Tschechoslowakei?
  2. Beurteile die Dekrete. Beziehe dabei zwei Ăśberlegungen mit ein:
    1. Die Deutschen hatten sich 1939 größtenteils über den Anschluss Tschechiens an das Deutsche Reich gefreut.
    2. 1945 wurden die Deutschen wieder zu tschechoslowakischen StaatsbĂĽrgern und Staaten haben eine Verantwortung gegenĂĽber ihren BĂĽrgern.

5. Umgang mit der Vergangenheit

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Die Story: Versöhnung trotz Vertreibung | Kontrovers | BR24
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Versöhnung trotz Vertreibung - Beispiele aus Brünn und Aussig
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Darstellungen

historische Versöhnungsgesten – Beispiele

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Urheber: JĂĽrgen Heller Privat Briefmarkensammlung

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Willy Brandt - Kniefall von Warschau  1970  bei der Kranzniederlegung vor dem Denkmal für die Opfer des Warschauer Ghettoaufstandes gegen die deutsche Besatzung.

„Wir vergeben und wir bitten um Vergebung“ – mit diesem Satz in einem Brief an ihre deutschen Amtsbrüder leiteten die katholischen Bischöfe Polens im November 1965 die Aussöhnung zwischen Deutschen und Polen ein. In der Tschechischen Republik dauerte es bis zu einer vergleichbaren Initiative 25 Jahre länger. Kurz nach dem Sturz des kommunistischen Regimes, am 11. Januar 1990, rief der damalige Prager Erzbischof, Kardinal František Tomášek, zur Versöhnung auf. In einem Brief an die deutschen Bischöfe nannte er die Vertreibung der Deutschen eine „gesetzwidrige und unmenschliche Tat“.

Lange Zeit war der ehemalige Präsident Václav Havel der einzige namhafte Politiker seines Landes, der seine Bürger immer wieder auf das heikle Thema hinwies. Die Tschechen sollten fähig sein, nicht nur "das von deutschem Boden hervorgegangene Böse zu reflektieren, sondern auch unsere eigene Geschichte und die grausamen Handlungen, die wir - wenn auch als Antwort auf grausame Handlungen anderer - selbst begingen". Das sagte Václav Havel im Jahre 2003.

Am 7. Dezember 1970 unterzeichnet Willy Brandt den Warschauer Vertrag. Der Vertrag mit Polen stellt fest, dass die 1945 auf der Potsdamer Konferenz festgelegte Oder-Neiße-Linie „die westliche Staatsgrenze der Volksrepublik Polen“ bildet. Günter Grass und Sigfried Lenz reisen auf Einladung von Willy Brandt nach Polen zur Unterzeichnung des Warschauer Vertrages. Für die Bemühungen um die Sicherung des Friedens erhält Bundeskanzler Willy Brand 1971 als erster aktiver Politiker nach Gustav Stresemann (1926) den Friedensnobelpreis. 

"Wir bedauern das Leid und wir bedauern das Unrecht, das dem tschechischen Volk zugefügt wurde, und uns ist auch bewusst,  dass diese Politik der Gewalt und des Verbrechens es war, die den Boden für die nachfolgende Flucht und Vertreibung geebnet hat. (Redeauszug des deutschen Bundespräsidenten Roman Herzog 1997 vor dem Tschechischen Parlament in Prag)

JĂĽrgen Heller

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Flucht und Vertreibung: Rede von Bundespräsident Gauck am 20.06.2015
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Rede des ehemaligen Bundespräsidenten Joachim Gauck für die Opfer von Flucht und Vertreibung am 20. Juni 2015
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Aufgabe

  1. Fasse die Rede des ehemaligen Bundespräsidenten Joachim Gauck in wenigen Sätzen zusammen.
  2. Warum ist die Auseinandersetzung mit historischer Flucht, Zwangsumsiedlung und Vertreibung nach Ansicht Gaucks so wichtig?

Zusammenfassung: 'Wilde' Vertreibungen und staatliche Pläne

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