Der Zweite Weltkrieg hatte in Deutschland Verwüstungen und unendliches Leid hinterlassen. Doch nicht nur das. Auch die Verwaltungsstrukturen und Gesetze mussten zu einem großen Teil erneuert werden. Das betraf auch Hessen, dessen Landesteile zuvor eigenständig oder innerhalb anderer deutscher Länder (Preußen) organisiert waren. Wie entstand eigentlich Hessen, aus welchen Teilen wurde es gebildet und wie wurde es politisch neu organisiert?
5.1 Hessen nach dem Zweiten Weltkrieg
1. Ein neues Land entsteht
Das Land Hessen wurde erst nach dem Zweiten Weltkrieg gebildet. Es entstand durch Anordnung der US-Besatzungsmacht im September 1945 und bekam zunächst den Namen „Großhessen“. Zu Großhessen gehörten vor allem Gebiete der ehemaligen preußische Provinz Hessen-Nassau und des Volksstaats Hessen.
Mehrere kleine hessische Gebiete, die vorher ebenfalls zu einem der hessischen Länder gehört hatten, wurden jedoch anderen neugebildeten Ländern zugeschlagen, so etwa der westliche Teil von Nassau (Montabaur) sowie der größte Teil Rheinhessens (Mainz, Worms). Ehemals hessische Gebiet gehörten dadurch nunmehr zu Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg.
Galerie: Die Vorgänger des Bundeslands Hessen
Aufgabe
- Übersetze in der Quelle 1 den dritten Punkt und notiere die Angaben über die zu Groß-Hessen gehörigen Gebiete.
- Lies die handschriftliche Angabe unter diesem Punkt. (Lass dir dabei von deinem Lehrer helfen.)
- Finde die angegebenen Gebiete auf der zweiten Karte (Deutsches Reich 1944) in der Galerie.
- Beziehe die Angaben aus der Quelle auf die Informationen im Text unten (Element 5).
2. Institutionen und Gliederungen des Landes
Hauptstadt?
Ein neues Land braucht eine neue Hauptstadt! Und das konnte doch nur Frankfurt am Main sein, oder? Falsch gedacht. Als Stadt der Kaiserkrönungen war Frankfurt über Jahrhunderte eine freie Stadt innerhalb des Heiligen Römischen Reichs deutscher Nation gewesen. Frankfurt war bis 1806 eine der Hauptstädte des Reiches gewesen und im 19. Jahrhundert von Preußen erobert und zwangsweise in den preußischen Staat eingegliedert worden. Frankfurt sah sich jedoch auch für die Zukunft als eine mögliche Hauptstadt aller Deutschen. Da Frankfurt am Main zudem schwer zerstört war, fiel die Wahl auf Wiesbaden, das im Rhein-Main-Gebiet lag, nicht weit von Frankfurt entfernt und im Vergleich nur wenig zerstört war. Da es in Wiesbaden auch eine amerikanische Militärregierung gab, trafen die Amerikaner folgende Entscheidung: "Mit Wirkung vom 12. Oktober 1945, 12 Uhr, wird die Gründung der zivilen Landesregierung für Großhessen mit Sitz in Wiesbaden verkündet."
Regierungsbezirke?
- Der Regierungsbezirk Darmstadt erstreckte sich auf die Gebiete des früheren Volksstaats Hessen (ohne die abgetrennten rheinhessischen Gebiete), also die ehemaligen Provinzen Oberhessen und Starkenburg.
- Der Regierungsbezirk Wiesbaden umfasste die Gebiet der ehemaligen preußischen Provinz Hessen-Nassau, die ehemals kurhessischen Kreise Hanau, die Stadt Hanau, die Kreise Gelnhausen und Schlüchtern sowie ehemals hessen-homburgische Gebiete. Dazu kamen noch Frankfurt am Main und das sogenannte Hessische Hinterland, zu dem u.a. die Landkreise Marburg-Biedenkopf, der Lahn-Dill-Kreis sowie Waldeck-Frankenberg gehören.
- Die ehemaligen Gebiete Kurhessens und Waldeck gehörten zu einem großen Teil zum Regierungsbezirk Kassel.
Regierungspräsidien?
Die ehemaligen Residenzstädte Wiesbaden, Kassel und Darmstadt wurden zu Sitzen der drei Regierungspräsidien bestimmt.
Aufgabe
Erkläre in eigenen Worten, warum Wiesbaden und nicht Frankfurt heute die Hauptstadt Hessens ist.
3. Territoriale Schwierigkeiten und Sonderregelungen
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Wanfrieder Abkommen 1945
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Wanfrieder Abkommen 1945
Im Jahr 1945 tauschten die Besatzungsmächte USA und Sowjetunion entlang der Grenze ihrer beider Besatzungszonen, die zwischen Hessen und Thüringen verlief, einige Gebiete aus. Die Vereinbarung dazu war das Wandfrieder Abkommen. Der Anlass zu diesem Tausch war, dass die Amerikaner die Bahnstrecke Bebra-Göttingen gern vollständig auf ihrem Besatzungsgebiet haben wollten, weil es für sie eine wichtige Versorgungsroute war. Einige Kilometer dieser Linie verliefen jedoch auf dem Gebiet der sowjetischen Besatzungszone.
- Daher wurden die im thüringischen Eichsfeld gelegenen Dörfer Neuseesen und Werlesehausen mit 845 ha Fläche der amerikanischen Zone unterstellt.
- Im Gegenzug erhielt die sowjetische Zone die hessischen Dörfer Sickenberg, Asbach, Vatterode, Weidenbach und Hennigerode mit 761 ha Fläche.
Der Tausch wurde bis zum 19. September 1945 vollzogen. Die damals getauschten Gebiete wurden 1949 Teil der Bundesrepublik Deutschland und der DDR. Sie sind heute noch Teil Thüringens und Hessens.
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Was wird aus Bad Wimpfen? Wohin gehörten die Kreise Schmalkalden und Schaumburg?
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Was wird aus Bad Wimpfen? Wohin gehörten die Kreise Schmalkalden und Schaumburg?
Die Zugehörigkeit der Exklave Bad Wimpfen?
Die hessische Exklave Bad Wimpfen wurde bei der Gründung Groß-Hessens zunächst nicht berücksichtigt. Sie liegt im südlichen Grenzgebiet zwischen Hessen und Baden-Württemberg. Die amerikanische Besatzungsverwaltung entschied Ende 1945, das das Gebiet zukünftig zu Württemberg-Baden (Landkreis Sinsheim) gehören sollte.
Eine Entscheidung über eine endgültige Zugehörigkeit zu Hessen oder dem (späteren) Baden-Württemberg wurde jedoch nie getroffen. Praktisch gehört es jedoch nicht mehr zu Hessen, sondern zu Baden-Württemberg. 1960 wurde in Baden-Württemberg ein Gesetz beschlossen, das Bad Wimpfen allen Rechten und Regelungen der anderen Kreise des Landes Baden-Württemberg unterwarf.
Was ist mit Schmalkalden und Schaumburg?
Der heute zum Freistaat Thüringen gehörende Kreis Schmalkalden war schon 1944 von Hessen-Nassau abgetrennt worden. Er gehörte nach Ende des Zweiten Weltkrieges zur sowjetischen Besatzungszone und später zur DDR.
Im Jahr 1932 war der zu Preußen gehörende hessen-nassauische Kreis Schaumburg in die damalige preußische Provinz Hannover eingegliedert worden. Nach dem Weltkrieg wurde er daher Teil des Landes Niedersachsen.
4. Die Politik eines neuen Landes
Das Land Hessen war das erste Land in Deutschland, das nach dem Zweiten Weltkrieg eine neue demokratische Verfassung bekam. Sie wurde am 29. Oktober 1946 von der verfassungsberatenden Landesversammlung in Wiesbaden beschlossen und am 1. Dezember 1946 durch eine Volksabstimmung angenommen. Das Land hieß seitdem nur noch Hessen statt Groß-Hessen.
Nach der ersten Landtagswahl bildeten die beiden Volksparteien SPD und CDU eine Koalition. Ministerpräsident wurde Christian Stock. Die politischen Aufgaben waren sehr groß. Die Kriegsfolgen mussten beseitigt werden: Aufbau von Landesinstitutionen, der Aufbau einer sozial verantwortlichen Marktwirtschaft, Wohnungsbau und die Integration der mehr als 500.000 Heimatvertriebenen und Flüchtlinge, die sich in Hessen befanden, waren nur einige der Aufgaben.
Kriegszerstörungen in Hessen
Material
Originales Filmmaterial zum Ende des Zweiten Weltkrieges in Hessen
Material
Originales Filmmaterial zum Ende des Zweiten Weltkrieges in Hessen
Wenn du im Internet nach Filmmaterial unter den Stichworten "1945+ich 75 Jahre Frieden in Hessen" suchst, findest du originale Aufnahmen aus dem Jahr 1945, das in vielen hessischen Städten und Kreisen gemacht wurde, so zum Beispiel aus dem Lahn-Dill-Kreis, dem Kreis Fulda oder dem Hochtaunus-Kreis.
Aufgabe
Informiere dich im Internet über die Person Christian Stock (z.B. auf dieser Seite des Landes Hessen oder in dieser Biographiensammlung). Verfasse dann einen kurzen Text, in dem du die Rolle Stocks als die des ersten Ministerpräsidenten des neugeschaffenen Hessens beschreibst und seine Leistungen beurteilst.
5. Hessen - Herausforderungen nach dem Krieg
Galerie: Herausforderungen
Das Land Hessen stand nach Ende des Zweiten Weltkrieges vor großen Herausforderungen. Hier sind nur einige davon aufgezählt:
- Viele Große Städte waren stark zerstört. In Hanau beispielsweise wurden im März 1945 bei einem Luftangriff 2.240 Häuser zerstört. (80% der Bausubstanz der ganzen Stadt waren vernichtet. In der ganzen Innenstadt standen überhaupt nur noch sieben Häuser und die Einwohnerzahl sank auf unter 10.000 Menschen. Schwere Zerstörungen erlitten u.a. auch Gießen, Kassel, Frankfurt am Main, Darmstadt, Marburg, Offenbach oder Homburg. Die Trümmerbeseitigung und der Wiederaufbau mussten organisiert werden.
- Auch die Wirtschaft des Landes musste neu aufgestellt werden. Wie sollte es z.B. mit der chemischen Industrie weitergehen, die in Hessen sehr stark war, sich jedoch völlig in den Dienst der NS-Verbrechen und des deutschen Militärs gestellt hatte?
- Das Land nahm in den Jahren nach nach Ende des Krieges fast eine Million Vertriebene und Flüchtlinge auf. Die mussten nicht nur untergebracht, sondern auch dauerhaft in die Gesellschaft aufgenommen werden. Dazu brauchte es Arbeitsplätze, neue Möglichkeiten für den Hausbau, kulturelle Angebote, religiöse Gemeinschaften, eine Festkultur, Freizeitangebote usw.
- Da Hessen im Norden an die sowjetische Besatzungszone grenzte und dort Wirtschaft und Gesellschaft sehr schnell dem sowjetischen Diktat unterworfen wurden, verlor diese Gegend die Möglichkeit zum wirtschaftlichen Austausch mit Thüringen und den anderen Ländern der östlichen Besatzungszone. Es mussten neue Wirtschaftskontakte, Lieferwege und Märkte gefunden werden.
Aufgabe
Stell dir vor, du wärst hessischer Ministerpräsident im Jahr 1946. Deine Aufgabe ist es, mit der Lösung der oben skizzierten Probleme zu beginnen. Verfasse einen Text an deine Regierung, in dem du erklärst, welches der Probleme du priorisieren und als erstes angehen willst, deine Entscheidung begründest und konkrete politische Maßnahmen zur Lösung vorschlägst.