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2.2 Neue Staaten überall: Die Sieger des Ersten Weltkriegs zeichnen die Landkarte neu

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Urheber: Sebastian Herrmann

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Unsplash.com - Lizenz

Viele Finger auf der Karte

2.2 Neue Staaten überall: Die Sieger des Ersten Weltkriegs zeichnen die Landkarte neu

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Nach dem Ersten Weltkrieg erlebten die Kartenmacher der Welt die größte 'Umbauaktion' in der Geschichte des Atlas. Viele Tausend Kilometer Grenzen wurden neu gezogen, neue Staaten entstanden, alte verschwanden. An vielen Stellen tat sich nichts, aber in Osteuropa und Südwestasien sahen die Karten von 1920 komplett anders aus, als die von 1917. Diese Umbauaktion wurde an mehreren Orten in der Nähe von Paris beschlossen: In Versailles, Saint Germain und Sèvres entwarfen die Sieger des Ersten Weltkriegs eine Nachkriegsordnung, die nicht nur die Herausgeber von Atlanten vor große Herausforderungen stellte.  

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1. Die Neue Welt setzt ihr Prinzipien durch

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Woodrow Wilson, President of the United States of America.
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Urheber: Harris & Ewing

https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Thomas_Woodrow_Wilson,_Harris_%26_Ewing_bw_photo_portrait,_1919.jpg

PD

US-Präsident Woodrow Wilson

Die Sieger des Ersten Weltkriegs waren größtenteils moderne Nationalstaaten (Frankreich, Großbritannien, USA), die Verlierer waren die Monarchien und oft Vielvölkerstaaten der Alten Welt (Deutsches Reich, Österreich-Ungarn, Osmanisches Reich und Russland). Auf der Siegerseite gab es unterschiedliche Interessen (Sicherheit, Entschädigungen, Revanche) aber eine Überzeugung teilten alle Sieger: Der Krieg war von den alten Monarchien verschuldet worden und diese Monarchien sollten nun zu etwas weniger Gefährlichem werden: Zu modernen demokratischen Republiken. Gleichzeitig sollten die Völker, die unfreiwillig von den alten Monarchien beherrscht worden waren, in die Freiheit entlassen werden. Die Sieger, allen voran der US-amerikanische Präsident Woodrow Wilson, propagierten das 'Selbstbestimmungsrecht der Völker'.

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Quelle

Aus den '14 Punkten' von Woodrow Wilson

Hinweis: der US-Amerikanische Präsident Woodrow Wilson legte vor den Friedensverhandlungen in einer Rede vor dem US-Kongress fest, was für seine Regierung die Ziele der Verhandlungen sein würden. Diese Liste wurde als 'Wilsons 14-Punkte-Programm' schnell international bekannt. 

I. Offene Friedensverträge, die offen zustande gekommen sind, und danach sollen keine geheimen internationalen Vereinbarungen irgendwelcher Art mehr getroffen werden, sondern die Diplomatie soll immer offen und vor aller Welt arbeiten. [...]

V. Eine freie, weitherzige und unbedingt unparteiische Schlichtung aller kolonialen Ansprüche, die auf einer genauen Beobachtung des Grundsatzes fußt, daß bei der Entscheidung aller derartigen Souveränitätsfragen die Interessen der betroffenen Bevölkerung ein ebensolches Gewicht haben müssen wie die berechtigten Forderungen der Regierung, deren Rechtsanspruch bestimmt werden soll. [...]

IX. Es sollte eine Berichtigung der Grenzen Italiens nach den klar erkennbaren Linien der Nationalität durchgeführt werden.

X. Den Völkern Österreichs-Ungarns, deren Platz unter den Völkern wir sichergestellt und zugesichert zu sehen wünschen, sollte die freieste Gelegenheit zu autonomer Entwicklung gewährt werden.

XI. Rumänien, Serbien und Montenegro sollten geräumt werden; besetzte Gebiete sollten wiederhergestellt werden; Serbien sollte freier und sicherer Zugang zum Meere gewährt werden; und die Beziehungen der verschiedenen Balkanstaaten zueinander sollten durch freundschaftliche Verständigung gemäß den geschichtlich feststehenden Grundlinien von Zugehörigkeit und Nationalität bestimmt werden. Auch sollten internationale Bürgschaften für die politische und wirtschaftliche Unabhängigkeit sowie für die territoriale Unverletzlichkeit der verschiedenen Balkanstaaten übernommen werden.

XII. Den türkischen Teilen des gegenwärtigen Osmanischen Reiches sollte eine sichere Souveränität, den anderen derzeit unter türkischer Herrschaft stehenden Nationalitäten aber eine unzweifelhafte Sicherheit der Existenz und unbeeinträchtigte Gelegenheit für autonome Entwicklung zugesichert werden; auch sollten die Dardanellen unter internationaler Garantie dauernd als ein freier Durchgang für die Schiffe und den Handel aller Nationen geöffnet werden.

XIII. Es sollte ein unabhängiger polnischer Staat errichtet werden, der die von unbestritten polnischen Bevölkerungen bewohnten Gebiete einschließen sollte, dem ein freier und sicherer Zugang zum Meere zugesichert werden sollte und dessen politische und wirtschaftliche Unabhängigkeit und territoriale Unverletzlichkeit durch internationales Abkommen garantiert werden sollten.

XIV. Es muß zum Zwecke wechselseitiger Garantieleistung für politische Unabhängigkeit und territoriale Unverletzlichkeit der großen wie der kleinen Staaten unter Abschluß spezifischer Vereinbarungen eine allgemeine Gesellschaft von Nationen gebildet werden.

Der Waffenstillstand 1918-1919. Das Dokumenten-Material der Waffenstillstands-Verhandlungen von Compiègne, Spa, Trier und Brüssel, hrsg. im Auftrage der Deutschen Waffenstillstands-Kommission, Bd. 1, Berlin 1928, S. 3-6.

2. Die Gewinner: Endlich frei!

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Manifestation am St.-Wenzels-Denkmal in Prag anlässlich der Proklamation der Tschechoslowakischen Republik am 28. Oktober 1918
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Urheber: Unbekannt

https://commons.wikimedia.org/wiki/File:28._%C5%99%C3%ADjen_1918.jpg?uselang=de

PD

Großdemonstration auf dem Prager Wenzelsplatz zur Ausrufung der Tschechoslowakischen Republik am 28.10.1918

Viele Menschen begrüßten die Ergebnisse der Pariser Verträge mit Begeisterung. Gerade in Osteuropa hatten viele Balten, Polen, Tschechen und Slowaken schon lange ihren eigenen Nationalstaat und Unabhängigkeit von ihren alten (deutschen, österreichischen und russischen) Herrschern gefordert. Als nun, im Zuge der Durchsetzung des Selbstbestimmungsrechts der Völker, die Staaten Estland, Lettland, Litauen, Polen, Tschechoslowakei gegründet wurden, war die Mehrheit der Bevölkerung in diesen Staaten begeistert.

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Plakat aus dem Abstimmungskampf über Oberschlesien 1921.
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Urheber: Unbekannt

https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Plebiscyt_plakat.jpg?uselang=de

PD

Polnisches Plakat zur Abstimmung 1921, ob Oberschlesien deutsch oder polnisch werden sollte. Die Bildbeschriftung lautet: "Mutter – Erinnere dich an mich – Abstimmung für Polen"

Doch so konfliktfrei und folgerichtig, wie Wilson es sich erträumt hatte, war diese Entwicklung nicht. Nationalstaatsgründungen in ethnisch und sprachlich durchmischten Gebieten bringen immer Probleme mit sich (siehe Kapitel 1.6). Wo verlaufen die Grenzen, wer gehört wohin, was passiert mit den neuen Minderheiten? In Osteuropa gab es nach den Pariser Verträgen zahlreiche Regionen mit 'unklarem Status', in denen Volkszählungen und -abstimmungen geplant wurden, um letztendliche Zugehörigkeiten zu klären. Im polnisch-sowjetischen Krieg von 1919 bis 1921 musste die Frage, wo der neue polnische Staat im Osten endet, nochmal mit Waffengewalt geklärt werden.

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Darstellung

Staatsgründungen und Territorialfragen: Das Beispiel Litauen

Litauen war vor dem Ersten Weltkrieg Teil des Russischen Reiches gewesen. Gegen Ende des Krieges sahen die Litauer ihre Chance auf nationale Selbstbestimmung und riefen am 16.2.1918 in Vilnius die Erste Litauische Republik aus. Nun lebte aber genau in der Region um Vilnius eine polnischsprachige Bevölkerungsmehrheit. Deshalb beanspruchte das neugegründete Polen dieses Gebiet für sich und eroberte es im polnisch-litauischen Krieg 1920. Der Völkerbund akzeptierte die polnische Annexion und Litauen musste die Region um Vilnius an Polen abtreten, neue litauische Hauptstadt wurde Kaunas. Drei Jahre später marschierte Litauen wiederum im westlich gelegenen Memelland und dessen Hafenstadt Memel ein (heißt heute Klaipėda). Dieses Gebiet hatte zum deutschen Ostpreußen gehört und stand seit Ende der Kriegs unter Verwaltung des Völkerbundes. Der Völkerbund akzeptierte auch diese mit Waffengewalt erzwungene Gebietsverschiebung und sprach das Memelland 1924 Litauen zu.

Map showing the extent of Lithuanian (gray) claims on neighbouring countries in the interbellum
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Urheber: Halibutt

https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Rzeczpospolita_Lithuania_claims.png

Cc3BYSA

Eine Karte von Litauen nach dem Ersten Weltkrieg. Grau schraffiert sind Gebiete, auf die Litauen gerne Anspruch erhoben hätte, grün ist das von Polen annektierte Gebiet (Vilnius ist auf der Karte polnisch 'Wilno') und rot schraffiert das von Litauen annektierte Memelland.

Lukas Epperlein

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Exkurs: Nach Westen oder Osten? Polens Vorstellungen für seinen neuen Staat

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Roman Dmowski, head-and-shoulders portrait, facing left.
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Urheber: Harris & Ewing

https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Roman_Dmowski_LOC_3c35372u.jpg

PD

Roman Dmowski (1864-1939)

Roman Dmowski, der polnische Verhandlungsführer in Versailles, hatte klare Vorstellungen vom zu bildenden Staat. Im Westen sollte das neue Polen in etwa dem alten Polen entsprechen, das 1772 stückchenweise unter seinen Nachbarn aufgeteilt worden war und so von der Landkarte verschwand. Das hätte sehr weitreichende Gebietsverluste für das deutsche Reich bedeutet. 

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Józef Piłsudski
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Urheber: Witold Pikiel

https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Jozef_Pilsudski1.jpg?uselang=de

PD

Józef Piłsudski (1867-1935)

Dem 'starken Mann' in Polen, Staatschef und Oberbefehlshaber Józef Piłsudski, ging es eher um Gebietsgewinne im Osten. An sich war die Ostgrenze durch die sogenannte 'Curzon-Linie' von dem britischen Außenminister George Curzon definiert und zwar auch hier entlang der Gebiete, in denen die Polen die Bevölkerungsmehrheit stellten. Aber andererseits war im Osten einiges möglich. Das russische Reich existierte nicht mehr und sein Nachfolger, die Sowjetunion, war in einen Bürgerkrieg verwickelt und mit den Siegermächten verfeindet.

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Teofil Szumański
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Urheber: Teofil Szumański

https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Polish_territorial_demands_on_Paris_Peace_Conference_1919.png

PD

Dmowskis Vorstellung des neuen polnischen Staates: Dunkelrot sind alle Gebiete mit polnischer Bevölkerungsmehrheit, die blaue Linie ist die Grenze des polnischen Königreichs 1772 und die dicke rote Linie ist die Grenze, die der neue polnische Staat haben sollte.

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Darstellung

Ein Radiobeitrag zum polnisch-sowjetischen Krieg 1919-1921

MDR 14.02.1919  Polnisch-Sowjetischer Krieg beginnt
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Aufgabe

Dmowskis und Wilsons Vorstellungen

  1. "Es sollte ein unabhängiger polnischer Staat errichtet werden, der die von unbestritten polnischen Bevölkerungen bewohnten Gebiete einschließen sollte, dem ein freier und sicherer Zugang zum Meere zugesichert werden sollte" (Zitat aus Woodsrow Wilsons 14 Punkten). Arbeite aus der Karte oben heraus, ob dieser Grundsatz in Dmowskis Polen umgesetzt wäre.
  2. Bewerte die Pariser Friedensverträge in Hinblick auf Polen nach dem Krieg. Beziehe die beiden Ziele der Verträge mit ein: Schaffung eines stabilen Nachkriegseuropas und Durchsetzung des Selbstbestimmungsrechts der Völker.

3. Die Verlierer: Was ist mit unserem Selbstbestimmungsrecht?

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Das Selbstbestimmungsrecht der Völker war aber nicht das einzige Prinzip, nach dem die Welt nach 1918 neu geordnet wurde. Mancher Sieger wollte auch einfach sein Territorium vergrößern oder neue Kolonien gewinnen. So erhielt beispielsweise Italien Südtirol vom unterlegenen Österreich, obwohl sich ein Großteil der Südtiroler als Österreicher empfand. Viele Araber, die sich nach dem Untergang des Osmanischen Reichs Hoffnungen auf einen eigenen Staat gemacht hatten, mussten zusehen, wie ihre Länder zwischen Frankreich (Syrien und Libanon) und Großbritannien (Irak und Palästina) als sogenannte 'Mandatsgebiete' aufgeteilt wurde.  

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3sat - Südtirol auf Abwegen
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Ein Videobeitrag über die bis heute anhaltende Unzufriedenheit in Südtirol
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Quelle

Auszug aus dem Londoner Geheimvertrag von 1915

Hinweis: Das Londoner Geheimabkommen wurde am 26.4.1915 zwischen Frankreich, Großbritannien und Italien geschlossen. Ziel des Abkommens war es, das bis dahin neutrale Italien zum Kriegseintritt auf der Seiten von Frankreich und Großbritannien zu bewegen.

Artikel 1: In einem Friedensvertrag soll Italien folgende Territorien erhalten: Das Trentino, das cisalpine Tirol in seinen geografischen und natürlichen Grenzen, genau wie Triest, die Kreise Gorizia und Gradisca, ganz Istrien bis zum Quarnero  [...] 

Artikel 7: Sollte Italien das Trantino und Istrien wie in Artikel 4 verfügt erhalten [...] so wird sich Italien einer Aufteilung von Nord- und Südalbanien zwischen Montenegro, Serbien und Griechenland nicht widersetzen. [...]

Artikel 16: Diese Übereinkunft soll geheim gehalten werden. 

cisalpin: 'jenseits der Alpen', von Norden gesehen – in diesem Fall ist alles südlich des Brenners gemeint. 

Great Britain, Parliamentary Papers, London, 1920, LI Cmd. 671, Miscellaneous No. 7, 2-7, übersetzt aus dem Englischen von Lukas Epperlein

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Darstellung

Ein Radiobeitrag zur Aufteilung des Mittleren Ostens unter Frankreich und Großbritannien im 'Sykes-Picot-Abkommen'

Über diesen Link findest du einen Radiobeitrag zum Sykes-Picot-Abkommen von 1916, in dem Frankreich und Großbritannien den damals noch vom Osmanischen Reich beherrschten Mittleren Osten untereinander aufteilten.

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Aufgabe

Welches Selbstbestimmungsrecht?

  1. Wähle eines der beiden Beispiele Südtirol (Element 7 und 8) oder Mittlerer Osten (Element 9) aus. Untersuche die zugrunde liegenden Abkommen und beantworte folgende Fragen:
    1. Wer waren die Vertragspartner?
    2. Was waren ihre Ziele?
    3. Welche Rolle spielte das 'Selbstbestimmungsrecht der Völker' in ihren Überlegungen?
  2. Beschreibe in eigenen Worten, warum in Südtirol bzw. dem Mittleren Osten die während des Ersten Weltkriegs getroffenen Vereinbarungen bis heute für Konflikte sorgen.
  3. Formuliere einen Brief von Woodrow Wilson, in dem er, nachdem er vom Londoner Geheimabkommen und dem Sykes-Picot-Abkommen erfährt, seinen französischen und britischen Verbündeten schreibt und ihr Vorgehen beurteilt. Beziehe dich dabei auch auf den Inhalt der '14 Punkte' (Element 4).

4. So nicht! Nicht alle Staaten akzeptieren die Nachkriegsordnung.

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Mustafa Kemal (Atatürk) and Refet (Bele) in 1923.
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Urheber: NA

https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Mustafa_Kemal_and_Refet.jpg

PD

Mustafa Kemal 1923

Während Österreich und Deutschland mit den Bedingungen der Pariser Friedensverträge zwar nicht einverstanden waren, sie aber aus Mangel an Alternativen dennoch unterschrieben, wählte man in der Türkei einen anderen Weg. Im Friedensvertrag von Sèvres war das Osmanische Reich auf besonders radikale Art zu einem anatolischen Kleinstaat geschrumpft worden (siehe Karte). Während die Delegation des osmanischen Sultans die Bedingungen annahm, regte sich in der Türkei dagegen Widerstand. Türkische Nationalisten griffen zu den Waffen, bekämpften unter Führung von Mustafa Kemal (später 'Atatürk') die Besatzungstruppen und erzwangen im Friedensvertrag von Lausanne 1923 erheblich bessere Friedensbedingungen, deren Ergebnis die Türkei in ihren heutigen Grenzen war.

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Darstellung

Die Türkei wird Nationalstaat

1914 war das Osmanische Reich noch ein feudales Vielvölkerreich, 1923 war die Türkei ein Nationalstaat. Ein Großteil der alten osmanischen Herrschaftsgebiete war verlorengegangen (im Mittleren Osten, Arabien, auf dem Balkan). Übrig war Anatolien und ein kleiner Zipfel des Balkans, nordwestlich des Bosporus. Aber auch dieser kleine Teil war 1914 von einem Gemisch unterschiedlicher Sprach- und Volksgruppen bewohnt worden (Türken, Griechen, Armenier, Kurden, uvm.). Für das Osmanische Reich war dieser Zustand handhabbar gewesen, das Grundprinzip des Reichs war Gehorsam gegenüber dem Sultan in Istanbul gewesen. Aber Mustafa Kemals neuer Staat Türkei hatte keinen Sultan. Sein Grundprinzip war 'türkisch sein'. Was bedeutete das für all die Menschen in Anatolien, die keine Türken waren?

Bereits Ende des 19. Jahrhunderts hatte noch im alten Reich, unter Einfluss der nationalistischen Jungtürken, eine armenierfeindliche Politik eingesetzt, die sich zu einem blutigen Völkermord an den Armeniern in den Jahren 1915 und 1916 auswuchs (mehr Informationen dazu im Video unten). Die anderen Ethnien hatten kein ganz so schreckliches Schicksal vor sich, dennoch war im neuen türkischen Nationalstaat für viele von ihnen kein Platz. Die Griechen wurden in gewaltsamen Vertreibungsaktionen, vor allem während des griechisch-türkischen Krieges, nach Griechenland umgesiedelt (dasselbe geschah mit den noch in Griechenland lebenden Türken). Die Kurden kämpfen bis heute um eine Anerkennung als größte nationale Minderheit im türkischen Staat.

Lukas Epperlein

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Das Osmanische Reich im Ersten Weltkrieg | musstewissen Geschichte
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Ein Erklärvideo zum Völkermord an den Armeniern
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Aufgabe

Fragen zum Völkermord an den Armeniern

  1. "Der Völkermord an den Armeniern geschah wegen des Weltkriegs." – "Nein, der Völkermord an den Armeniern geschah wegen der Nationalisierung des Osmanischen Reichs." Finde Argumente für beide Behauptungen.
  2. Macht das einen Unterschied? Diskutiere diese Frage und beziehe dabei die Perspektive der Armenier und unsere heutige Perspektive auf die Ereignisse mit ein.

Zusammenfassung: Neue Staaten überall

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