"Ideen tun doch keinem weh." – Könnte man meinen. Aber die Nationalsozialisten, ihre Ideologie und ihre Politik sind ein Beispiel dafĂĽr, wie bestimmte Ideen das Leben von Millionen Menschen zerstören können, wenn sie in tatsächliche Politik umgesetzt werden. Die Idee von der "Lebensraumgewinnung im Osten" wurde ja nicht nur formuliert, sie sollte konkret umgesetzt werden. Das fĂĽhrte zu einem einzigartigen Menschheitsverbrechen, dem Millionen Menschen zum Opfer fielen. Die Umsetzung der massenmörderischen Ideen der Nazis wurde ausfĂĽhrlich geplant, unter anderem im "Generalplan Ost".Â
3.3 Der "Generalplan Ost"- konkrete Umsetzung der Ideologie vom "Volk ohne Raum"
1. Eine planerische Herausforderung
Im September 1939 überfiel die deutsche Wehrmacht Polen und zwei Jahre später die Sowjetunion. Sie zettelten einen Weltkrieg an. Dieser war rassistisch und von der Herrenmenschen-Ideologie bestimmt. Er hatte daher einzigartige Verbrechen insbesondere aber keineswegs nur an den Völkern in den osteuropäischen Ländern zur Folge. Ziel der Massenverbrechen war auch der Mord an Millionen Juden. In diesen Kriegen hofften die Nationalsozialisten weite Teile Ost- und Ostmitteleuropas zu erobern, um hier Deutsche 'anzusiedeln'. Damit wollten sie ihren Plan vom deutschen "Lebensraum" erfüllen.
Da die Gebiete, die erobert wurden, bewohnt waren, stellten sich die NS-Verbrechensplaner für die Besiedlung Osteuropas also zunächst mehrere Fragen:
- Welche Gebiete sollten 'besiedelt' werden?
- Was sollte mit der dort ansässigen Bevölkerung geschehen?
- Woher sollten die deutschen Siedler kommen?
- Wie sollte die 'Besiedlung' organisiert werden?
Aufgabe
- Beschreibe den Eindruck, den die Situation auf dem Foto auf dich macht. Gehe dabei vor allem auf das Aussehen und die Kleidung der anwesenden Personen ein.
- Welche der folgenden Bildunterschriften beschreiben das Bild deinem Eindruck nach am besten? BegrĂĽnde deine Entscheidung.
- wissenschaftlicher Vortrag
- militärische Strategiebesprechung
- Diskussion unter Kollegen
- wissenschaftlicher Vortrag
Darstellung
Info zum Foto
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Info zum Foto
Dieses Bild zeigt noch viel mehr als nur einen Berliner Professor umgeben von NS-Funktionären. Der Agrarwissenschaftler Konrad Meyer, SS-Mitglied und Direktor des Instituts für Agrarwesen und Agrarpolitik an der Universität in Berlin, wurde 1939 von Heinrich Himmler als Leiter der Planungshauptabteilung des sogenannten "Reichskommissariats für die Festigung deutschen Volkstums" eingesetzt. Gemeinsam mit weiteren Wissenschaftlern, auch aus seinem Institut für Agrarwesen und Agrarpolitik und in Zusammenarbeit mit einer Planungsgruppe beim Sicherheitsdienst des Reichsführer SS im Reichssicherheitshauptamts (RSHA), legte er 1942 die erste ausgearbeitete Version des "Generalplan Ost" zur Umstrukturierung osteuropäischer Gebiete vor. Beauftragt zunächst durch Himmler, waren die Verantwortlichen später auch dem Reichsminister für die besetzten Ostgebiete, Alfred Rosenberg, untergeordnet. Daher verdeutlicht dieses Foto, wie eng Politiker und vermeintliche Wissenschaftler im NS-System zusammenhängen und wie sehr die auf Ausgrenzung und Gewalt beruhende Ideologie sämtliche Lebensbereiche – so auch Universitäten – durchdrungen hat.
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Verschiedene Pläne für verschiedene 'Rassen'
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Verschiedene Pläne für verschiedene 'Rassen'
GroĂźe Bevölkerungsteile der eroberten Gebiete wurden von den Nationalsozialisten als nicht gleichwertig angesehen, so auch die Mehrheit der Polinnen und Polen. In ihren Plänen unterschied der nationalsozialistische Planungsstab aber zwischen der jĂĽdischen und nicht-jĂĽdischen Bevölkerung in Polen. Letztere sollten in fĂĽr die Landwirtschaft unattraktive Gebiete oder zur Zwangsarbeit verschleppt und mittelfristig vertrieben werden. Diese Planungen betrafen mindestens 25 Millionen Menschen.Â
Die Führungsebene des nationalsozialistischen Deutschen Reichs plante die Deportation und Ermordung der jüdischen Bevölkerung in ganz Europa, insbesondere auch in Polen. Durch die Vernichtung der jüdischen Bevölkerung sollten ganze Landstriche in den eroberten Territorien für etwa fünf Millionen Deutsche zur Verfügung stehen. Dabei waren die Pläne Ausdruck der rassenideologischen Weltanschauung der Nationalsozialisten und irrationale Versuche zur Verbesserung der eigenen wirtschaftlichen Lage.
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Erinnerung: Ideologische Grundlagen
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Erinnerung: Ideologische Grundlagen
Die NS-Propaganda redete vermeintliche innenpolitische Probleme wie Überbevölkerung im Deutschen Reich herbei, die man mit der Erschließung neuer Gebiete lösen wollte. Diese Probleme waren allerdings reine Wahnvorstellungen der NSDAP-Führung und die gewaltsame Eroberung Polens und anderer Ostgebiete keinesfalls lösungsorientierte Politik, wie die Nationalsozialisten es darstellten. Mit Mitteln der Propaganda versuchten sie, die deutsche Bevölkerung zu beeinflussen und diese dazu zu bringen, die Zwangsumsiedlungen zu unterstützen. Auch sollte so der Landraub im Osten legitimiert werden.
Die "großzügigste Umsiedlungsaktion der Weltgeschichte“ – ein frühes Propagandaplakat
Dieses Propagandaplakat wurde kurz nach der Eroberung Polens genutzt, um für die Umsiedlung der Auslandsdeutschen zu werben. Nach dem ideologisch aufgeladenen Motto "Heim ins Reich" sollten Deutschstämmige, zum Beispiel aus dem Baltikum, in die neu eroberten Gebiete in Polen umsiedeln und sie so "germanisieren". Das Plakat verdeutlicht die Irrationalität der größenwahnsinnigen Pläne, in kurzer Zeit sollten ganze Bevölkerungsteile quer durch Europa umgesiedelt werden. Auch über die eigene Bevölkerung wurde einfach verfügt und es wurde vorausgesetzt, dass sie Teil der Zwangsumsiedlungen wurden. Gleichzeitig ist das Plakat nur eine Momentaufnahme der nationalsozialistischen Pläne. Mit dem Angriff auf die Sowjetunion waren diese hinfällig, da man nun in noch größeren Dimensionen dachte und auch Regionen östlich von Polen, in der Sowjetunion, mit Deutschen besiedeln wollte.
Aufgabe
Beschreibe die Perspektive auf Osteuropa, die in dem Plakat zum Ausdruck kommt. Wie stellte sich der nationalsozialistische Planungsstab die Zukunft der vereinnahmten Gebiete vor?
2. Der Generalplan Ost
Der Generalplan Ost ist eine Sammlung von Planungsdokumenten, die zwischen 1940 und 1942 unter der Leitung von Konrad Mayer ausgearbeitet wurden. Sie wurden mit Verlauf des Krieges immer wieder modifiziert und nie komplett umgesetzt, da die Deutschen ab 1943 den Krieg und die Kontrolle ĂĽber die im Plan ausgestellten Gebiete verloren.
Der Generalplan Ost umfasst eine Beschreibung der zu besiedelnden Gebiete, eine Aufzählung von "Stützpunkten", von denen die Besiedlung ausgehen soll, sowie konkrete Pläne zur Besiedlung (Menge der Siedler, Größe der Gehöfte). In seinen "Planungsgrundlagen" listete der Plan auch erste Zahlen von Bevölkerungsgruppen auf, die aus den zu besiedelnden Gebieten deportiert werden sollten.
Konkret durchgerechnet wurden die Pläne am Beispiel des Warthelandes und Westpreußen. Da diese Gebiete schon 1939 von den Deutschen erobert worden waren, machte man sich hier zuerst an die Verwirklichung der Vernichtungs- und Umsiedlungspläne. Sie nannten das zu besiedelnde Gebiet Reichsgau Wartheland.
beanspruchtes Gebiet | 87.600 km² |
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anzusiedelnde Deutsche | 4,3 Millionen |
zu bauende Siedlerhöfe | ca. 100.000 |
zu deportierende Polen | 3,4 Millionen |
zu deportierende polnische Juden | 560.000 |
Wenn du dir den Generalplan Ost im Original ansehen willst, findest du ihn hier.
Aufgabe
- Das Bundesland Hessen umfasst etwa 21.000 km², wie oft würde es in das von den Nationalsozialisten zur ersten Besiedlung vorgesehene Gebiet passen?
- Die drei auf der Karte oben eingezeichneten Besiedlungsgebiete liegen östlich des in der Tabelle beschriebenen Warthelandes und sind erheblich größer als dieses. Wage eine Schätzung, welche Bevölkerungsbewegung und -vernichtung die Nationalsozialisten tatsächlich planten und finde für diese eine passende Beschreibung.
- "Vernichtungskrieg und Völkermord in Osteuropa waren Ausdruck des irrationalen Rassenwahns der Nationalsozialisten." Nimm zu dieser Aussage begründet Stellung.
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Sprache im Nationalsozialismus
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Sprache im Nationalsozialismus
Die Sprache war ein wichtiges Instrument der Nationalsozialisten, um die deutsche Bevölkerung zu manipulieren und zu kontrollieren. Begriffe wie "Umvolkung" oder "Neubauernauslese" sind konstruierte Ausdrücke der nationalsozialistischen Propaganda und Weltanschauung. Mit einer derartigen Sprache sollen die Vertreibungen und Gewalt verharmlost werden und im konkreten Fall der Zwangsumsiedlungen diese als natürlichen und automatischen Vorgang darstellen. Mit dieser Sprachlenkung versuchten die Nationalsozialisten die öffentliche Meinung zu manipulieren, indem sie einerseits ein Gemeinschaftsgefühl der deutschen Bevölkerung, andererseits eine starke Ausgrenzung anderer, nicht-deutschstämmiger Menschen schaffen wollten.
3. Was wurde tatsächlich umgesetzt?
Die Vertreibungs- und Ermordungspläne der Nationalsozialisten fĂĽr die Gebiete vor allem im östlichen Europa wurden durch den Kriegsverlauf deutlich gebremst. Im Winter 1942/43 begann in der Schlacht von Stalingrad die Niederlage der Wehrmacht im Osten, in den Folgejahren wurden die Deutschen immer weiter zurĂĽckgedrängt.Â
Zuvor wurden allerdings viele Menschen, insbesondere in Polen, aus ihrer Heimat vertrieben, in Lager verschleppt oder ermordet. Eine der durchgeführten Maßnahmen war die "Aktion Zamość". Ab 1942 wurden mindestens 50.000 Menschen aus der Region bei Zamość im besetzten Polen vertrieben, mehrere Tausend wurden umgebracht.
Außerdem mussten viele deutschstämmige Menschen aus Galizien, Wolhynien, dem Narewgebiet, der Gegend um Lublin, Bessarabien, Bukowina, Dobrudscha und aus Litauen ihre Heimat verlassen, um anderswo Teil einer neuen deutschen Siedlung zu werden. Teile dieser (zwangs-)umgesiedelten Deutschen wurden im Warthegau oder teilweise auch in Zamość angesiedelt. Allein im Dezember 1940 gingen ca. 30.000 in und bei Lublin lebende Deutsche in den Warthegau.
4. Die "Umsiedlungen" - Das Beispiel Wartheland
Ein Beispiel für zumindest in Teilen realisierte Umsiedlungen war das "Reichsgau Wartheland", was auch "Warthegau" genannt wurde. Dies lag im westlichen Teil des besetzten polnischen Gebietes, in direktem Grenzbereich zum Deutschen Reich. Viele Hunderttausende Polinnen und Polen wurden hier aus ihrer Heimat mit Gewalt ausgesiedelt, während Deutsche sich in dieser Region niederließen oder niederlassen mussten. Ein Großteil der aus dem Baltikum kommenden deutschen Bevölkerung, die bereits in der Landwirtschaft tätig waren, kamen in das Warthegau, wo über 2.000 Höfe zur Neubesiedlung mit Gewalt freigemacht wurden. Über 80.000 Menschen ließen sich so sowohl in den ländlichen Gebieten als auch in den Kleinstädten des Warthegaus nieder.
5. Deutsche Zeitzeugenberichte
Im Folgenden findest du drei Berichte von Menschen, die als deutschstämmige Kinder die Zwangsumsiedlungen nach Polen miterlebt haben. Diese Interviews entstammen dem 'Zeitzeugen Portal', einer Online-Interviewsammlung der Stiftung 'Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland'. Durch die Interviews erfährst du mehr über die persönliche Wahrnehmung und Erlebnisse ihrer Familien. Dies ist allerdings nur ein kleiner Ausschnitt und es handelt sich um individuelle Erzählungen, polnische Familien haben die Zwangsumsiedlungen ganz anders erlebt und auch andere deutsche Familien haben vielleicht eine andere Wahrnehmung.
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Aufgabe
- Schaue dir die Video-Interviews in den drei Tabkästen oben an. Welche Erfahrungen kommen in den Berichten zum Ausdruck?
- Was sind Gemeinsamkeiten und Unterschiede in den Berichten? Gibt es Aspekte, bei denen die Erzählungen auseinander gehen?
- Falls ja: Überlege, warum das so sein könnte.
Darstellung
Wie reagierten die Deutschen?
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Wie reagierten die Deutschen?
Das Ziel dieser Neuordnungspläne war die Ansiedlung deutscher Bevölkerung in östlichen Gebieten. Der Großteil der deutschen Bürgerinnen und Bürger wollte allerdings gar nicht umsiedeln. Gleichwohl war insbesondere während des Krieges die Eroberung von östlichen Siedlungsgebieten populär. Ebenso war die von den Nationalsozialisten vorangetriebene Sichtweise, dass die Deutschen über anderen Ethnien und Bevölkerungsgruppen stehen, weit verbreitet und viele Menschen waren davon auch überzeugt.
Eine besondere Rolle spielten die Deutschbalten, die deutschstämmige Bevölkerung in Estland, Lettland und Litauen, von denen viele freiwillig in andere osteuropäische Gebiete umsiedelten. Obwohl der GroĂźteil der Bauern- und Handwerksfamilien familiär stark im Baltikum verwurzelt war, waren sie auf Grund der verschlechterten Lebensbedingungen bereit, etwas Neues zu wagen, und hofften dort auf eine bessere Zukunft. Die estnische und die lettische Regierung unterstĂĽtzten diese Umsiedlungen, im Herbst 1939 schlossen sie mit Hitlers Regierung Vereinbarungen zur Umsiedlung der deutschstämmigen Balten.Â