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2.1 Volkssouveränität vs. monarchische Vielvölkerstaaten

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Urheber: Danny Lines

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Freiheit für alle?

2.1 Volkssouveränität vs. monarchische Vielvölkerstaaten

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Neue Welt gegen Alte Welt – wovon reden wir hier eigentlich? Wer sind die beiden großen 'Gegner', die sich im 19. Jahrhundert so unversöhnlich gegenüberstanden? In diesem Kapitel schauen wir uns die beiden Welten einmal etwas schematisch an, um so ihre Unterschiede besser herausarbeiten zu können. Dabei sollen wir aber eines nicht vergessen: So klar zu trennen, wie wir das nun tun, waren die beiden Welten voneinander nicht. In den Reichen der Alten Welt steckte schon ein Anteil Neuer Welt und in den Staaten der Neuen Welt immer noch eine Menge Alte Welt.

1. Die alte Welt

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Heinrich Olivier, Die Heilige Allianz, 1815
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Urheber: Heinrich Olivier

https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Olivier_Heilige_Allianz.jpg?uselang=de

Cc4BYSA

So mittelalterlich ließen sich die Herrscher von Preußen, Österreich und Russland (v.l.n.r.) noch 1815 darstellen.

Die Reiche der Alten Welt organisierten sich anders, als unsere heutigen Staaten. Seit dem Mittelalter gab es in Europa das sogenannte 'Feudalsystem', das zusammengefasst so funktionierte: "Es gibt Jemanden über dir, dem schwörst du die Treue, leistest ihm Abgaben und Dienste und dafür beschützt dich dieser Jemand und organisiert die wichtigen Dinge im Land." Obwohl dieses System aus dem Mittelalter stammte, funktionierte Russland, Österreich-Ungarn oder das Osmanische Reich im Prinzip 1914 noch immer so. Dieses System hatte für die Menschen – die Untertanen – Vor- und Nachteile.

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Darstellung

Die Vorteile, ein Untertan zu sein

Die Regeln sind einfach: Gehorsam, Ruhe, pünktlich gezahlte Steuern und im Kriegsfall die jungen Männer in die Kaserne schicken. Das ist ungefähr das, was ein Feudalherr, ein Zar, König oder Kaiser, von seinen Untertanen will. Man muss nicht in die Schule gehen oder Experten um Rat fragen, um zu verstehen, was der Staat von einem verlangt, was man tun muss, um seine Ruhe zu haben und ab wann man Probleme bekommt. 

Du kannst sein, wer du bist: Sprache, Kultur, wie die Untertanen ihre Feste feiern und ihre Lieder singen – das alles ist den meisten Feudalherren ziemlich egal. Im Feudalstaat gehörst du dazu, wenn du dem Herrscher den Treueeid leistest. Damit ist eigentlich alles geklärt. 

Kümmert euch selbst um die örtlichen Angelegenheiten: Könige kümmern sich nur um die großen Dinge im Reich. Wie die Untertanen ihre tägliche Arbeit, ihre kleine Geschäfte, ihre Gerichtsverhandlungen für kleinere Verbrechen organisierten, das wurde meistens nicht am königlichen Hof, sondern vor Ort entschieden.   

Lukas Epperlein

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Darstellung

Die Nachteile, ein Untertan zu sein

Nichts zu melden: Ein Untertan kann die politischen Verhältnisse, in denen er lebt, kaum beeinflussen. Er hat kein Wahl- oder Stimmrecht, sein Herrscher wird durch die Erbfolge bestimmt und Demonstrationen oder die Gründung politischer Vereine verstoßen schnell gegen die zwei wichtigsten Untertanenpflichten: Gehorsam und Ruhe.

Willkür: Könige tun gerne was sie wollen. Wenn dies zu Lasten ihrer Untertanen geht, haben diese kaum Möglichkeiten, etwas dagegen zu unternehmen. Es gibt im Feudalstaat kaum Regeln, die Untertanen gegenüber dem Herrscher einklagen können und an die sich der Herrscher immer zu halten hätte.

Fehlende Aufstiegsmöglichkeiten:
 Feudalstaaten sind geprägt von Standesschranken. Untertanen können hier nicht werden, was sie wollen – zumindest nicht, wenn sie z.B. Offizier, Professor oder Fabrikbesitzer werden wollen. Solche Positionen sind meistens den Adeligen oder ihren guten Freunden und Günstlingen vorbehalten.

Lukas Epperlein

2. Die neue Welt

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La Liberté guidant le peuple
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Urheber: Eugène Delacroix

https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Eug%C3%A8ne_Delacroix_-_Le_28_Juillet._La_Libert%C3%A9_guidant_le_peuple.jpg

PD

Auf in die neue Welt: Dem Gemälde 'Die Freiheit führt das Volk' von 1830 liegt ein ganz anderes Staatsverständnis zu Grunde.

Zeitgleich mit diesen alten Staaten existierten aber auch schon neue Staaten: Frankreich, Großbritannien oder die USA waren zu Beginn des 20. Jahrhunderts Nationalstaaten mit einer Verfassung und organisierter Mitbestimmung der Bevölkerung. Sie funktionierten schon so ähnlich wie die heutige Bundesrepublik. Die Menschen in solchen Staaten – die Bürger – hatten durch ihr System ebenfalls Vor- und Nachteile.

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Darstellung

Die Vorteile, ein Bürger zu sein

Du entscheidest mit: Bürger haben Möglichkeiten, die politischen Verhältnisse, in denen sie leben, zu beeinflussen. Oft wählen sie ihre Regierung und wählen sie auch ab, wenn ein Großteil von ihnen unzufrieden ist. Sie können über Vereine, Parteien und Demonstrationen versuchen, Einfluss auf Entscheidungen auszuüben.

Du hast Rechte: Bürger können versuchen, sich auf Verfassung und Gesetze zu berufen. In diesen stehen die Regeln, an die sich alle – auch die herrschende Regierung – halten müssen (zumindest theoretisch). Das schützt die Bürger besser vor staatlicher Willkür.

Du bist Teil von etwas Großem: Im Wort 'Staatsbürger' steckt es schon drin. Bürger sind Teil von dem, was sie regiert. Nicht ein Mensch in einem Schloss in der Hauptstadt herrscht über sie, sondern ein System von dem sie selbst ein Teil sind und das sie selbst mitgestalten können. 

Lukas Epperlein

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Darstellung

Die Nachteile, ein Bürger zu sein

Der Staat ist übergriffig: Der staatliche Einfluss auf das Leben seiner Bürger ist oft viel weitreichender als im alten Feudalstaat. Heute legt der Staat zum Beispiel fest, welche Beleuchtung jedes Fahrrad haben muss und dass sich jeder Autofahrer anschnallen muss. Ein solches Interesse für das Leben der Untertanen würde ein König der alten, feudalen Welt wohl eher nicht aufbringen.

Der Staat fordert Bekenntnis: 
Mit der Zugehörigkeit zum Nationalstaat ist es eine kompliziertere Sache als im Feudalstaat (siehe dazu Kapitel 1.1). Und weil die Frage, wer genau dazugehört und wer nicht, nie ganz klar beantwortet werden kann, braucht es ständig Überprüfungen und Bekenntnisse. Das fällt vor allem den Bürgern unangenehm auf, von denen Andere denken, sie würden vielleicht nicht so ganz dazugehören.

Lukas Epperlein

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Darstellung

Alles etwas komplizierter

Nun war zu Beginn des 20. Jahrhunderts kein Staat in Europa völlig in der 'Alten' oder 'Neuen Welt'. Zum Beispiel hatte in den 'modernen' Nationalstaaten Frankreich, Großbritannien und USA die Hälfte der Bevölkerung kein politisches Mitspracherecht – die Frauen. Auch Standesschranken spielten in den Staaten der Neuen Welt weiterhin eine große Rolle – in Großbritannien existierten Adelsprivilegien fort, in Teilen der USA gab es bis 1865 legal Sklaven und danach gesetzlich festgeschriebene Diskriminierung von Farbigen. 

Im 'alten' Feudalstaat Russland mischte sich der Zar schon länger ins Leben seiner Untertanen ein und verordnete ihnen zwangsweise Russischunterricht in der Schule. Und in Österreich-Ungarn gab es seit 1861 einen (teilweise) gewählten Reichsrat, der begrenzt Einfluss auf die Gesetzgebung hatte. 

Alle Staaten dieser Zeit hatten noch Wurzeln in der Alten Welt und versuchten gleichzeitig, mit neuen Entwicklungen und Ideen irgendwie umzugehen. Ein Staat, der förmlich in oder zwischen beiden Welten lag, war das Deutsche Kaiserreich. 

Lukas Epperlein

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Deutsches Kaiserreich: Besser als sein Ruf?
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Zwischen neuer und alter Welt: das Deutsche Kaiserreich
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Aufgabe

Das Deutsche Kaiserreich

  1. Sieh dir das Video oben an. Finde drei Elemente der 'Alten Welt' und drei Elemente der 'Neuen Welt', die im Video beschrieben werden. Begründe deine Auswahl und beziehe dich dabei auf den Inhalt der Darstellungen 2, 3, 5, und 6.
  2. Untersuche die BRD der Gegenwart. Findest du in ihr auch noch Elemente der 'Alten Welt', oder leben wir in einem durch und durch modernen Staat? Begründe deine Antwort.

Exkurs: Ist der Weg in die 'Neue Welt' Fortschritt?

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Heute erzählen wir die Geschichte eher so: Die Entwicklung vom alten Feudalstaat zum modernen Nationalstaat war gut für jeden, sie war menschlicher Fortschritt. Das liegt natürlich erstmal in der Natur der Sache, denn wir leben ja in einem modernen Nationalstaat und glauben gerne daran, dass unser heutiges Modell das beste von allen ist. Außerdem spricht ja auch einiges für den Nationalstaat (siehe Element 5) und allerhand gegen den Feudalstaat (Element 3). 

In der Zeit, von der wir gerade sprechen, dem 19. und frühen 20. Jahrhundert, sahen das aber nicht alle so. Nicht nur der Adel und die Feudalherrscher, auch viele 'einfache Leute' waren zufrieden mit der 'Alten Welt' und trauerten ihr nach. Waren sie einfach dumm, in der Vergangenheit gefangen und nicht in der Lage, Fortschritt zu erkennen?  

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Немецкая колония Гримм
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Urheber: неищвестен

https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Kollaj1.jpg?uselang=de

PD

Fotocollage aus einem Dorf deutscher Siedler an der Wolga, frühes 20. Jahrhundert.

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Darstellung

Deutsche Siedler in Osteuropa verlieren Rechte und Privilegien

Die Banater Schwaben, die Siebenbürger Sachsen oder die Schwarzmeer- und Wolgadeutschen – sie alle waren deutsche Kolonisten, die in der Vergangenheit von Österreich-Ungarn und Russland angeworben worden waren, um Teile ihres Reiches zu besiedeln. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts lebten sie oft schon über Hundert Jahre in ihren Siedlungsgebieten und zwar zu besonderen Bedingungen. Mit der Anwerbung waren bestimmte Rechte und Privilegien zugesagt worden, z.B. Steuerermäßigungen, Befreiung vom Militärdienst, Religionsfreiheit, Selbstverwaltung in den Dörfern, Verwendung der eigenen, deutschen Sprache. 

Diese Rechte waren durch und durch 'Alte Welt'. Nur in ihr konnte ein Herrscher einen Teil seiner Untertanen nach Gutdünken anders behandeln, als den Rest. Nur in ihr war es egal, was in der Dorfschule unterrichtet wurde, und dass ein Teil der Bevölkerung die Landessprache nicht verstand. 

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts entwickelten sich die Staaten, in denen diese Siedlungsgebiete lagen, aber in Richtung 'Neue Welt'. Der Banat und Siebenbürgen gehörten zu Ungarn, das sich modernisierte und nationalisierte. Dasselbe geschah in Russland, an der Wolga und der Schwarzmeerküste. Staatlicher Zwang und die Rücknahme der Privilegien waren die Folge: Alle müssen zum Militär! Alle müssen die Landessprache lernen! Der Staat bestimmt, was in den Schulen passiert!

Man könnte nun sagen: Das ist doch Fortschritt – ihr Siedler werdet zu Bürgern, wie es dir Franzosen schon längst sind. Für die meisten Siedler war es aber Betrug. Sie hatten mit ihrem Herrscher einen Vertrag geschlossen: Gehorsam und harte Arbeit gegen Land und Privilegien. Dieser Vertrag wurde nun einseitig und zu ihrem Nachteil geändert.

Lukas Epperlein

3. Was bedeutet Volkssouveränität?

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Die 'Volkssouveränität' war Anfang des 20. Jahrhunderts ein Schlagwort aus der 'Neuen Welt'. Politiker und Journalisten erhoben die Forderung nach mehr Volkssouveränität und wandten sich damit vor allem gegen die traditionellen, feudalen Staaten und Reiche. Aber was forderten sie eigentlich? Volkssouveränität hat zwei Seiten, eine demokratische und eine nationalistische.

Die demokratische Seite der Volkssouveränität ist die Forderung, dass das Volk (also die Bevölkerung, die Menschen die in einem Staat/Reich leben) der Souverän (der Herrscher) sein sollen. Das Volk soll sich also durch demokratische Wahlen selbst eine Regierung bestimmen. Diese Regierung soll dem Volk gegenüber verpflichtet und von ihm abhängig sein.

Die nationalistische Seite der Volkssouveränität ist die Forderung, dass jedes Volk (eine Gruppe von Menschen, die durch Sprache/Kultur/Tradition etc. zusammengehören) über sein eigenes Schicksal bestimmen und nicht von einem anderen Volk beherrscht und regiert werden soll. 

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Der Ballhausschwur, 20. Juni 1789
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Urheber: Auguste Couder (1789–1873)

https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Couder_-_Le_Serment_du_Jeu_de_Paume,_20_juin_1789.jpg?uselang=de

PD

demokratische Volkssouveränität: Das französische Volk will nicht länger von einem absolutistischen König regiert werden. Vertreter des Dritten Standes fordern im Ballhausschwur (auf dem Gemälde dargestellt) am 20. Juni 1789 eine Verfassung und demokratische Mitbestimmung. Das Volk, und nicht der König, soll bestimmen, wer herrscht.

Ütközet a Tömösi-szorosnál 1849. június 20-án. Bellony László festménye
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Urheber: László Bellony (1871–1913)

https://commons.wikimedia.org/wiki/File:T%C3%B6m%C3%B6si_szoros_Bellony.jpg

PD

nationale Volkssouveränität: Das ungarische Volk möchte nicht länger von Österreich regiert werden. 1848/49 versuchen ungarische Truppen die Österreicher aus dem Land zu vertreiben. Ungarn, nicht Österreicher, sollen bestimmen, wer herrscht.

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Quelle

Der tschechische Historiker František Palacký fordert Volkssouveränität

Oder haben etwa die Völker kein angeborenes Recht zu ihrer Selbsterhaltung? Sie haben ja die Verpflichtung, sich zu bilden, d. h. den ihnen innewohnenden göttlichen Funken zu wecken und anzufachen, und von dieser Verpflichtung kann sie Niemand auf der Welt freisprechen. […]

Die Erhaltung und Fortbildung der Nationalität ist ein Gebot und Gesetz der Sittlichkeit, das durch kein Gebot außer Kraft gesetzt werden kann. […]

Setzen wir nun folgende Prämissen: 1) Im österreichischen Staate soll Recht und Gesetz und keineswegs materielle Gewalt oder Willkür herrschen; 2) Der österreichische Staat ist aus verschiedenen Nationalitäten zusammengesetzt; 3) kein Volk besitzt Anrechte auf eine andere Nation und kann und darf letztere nicht als Mittel zu seinen speziellen Zwecken benützen – so sehe ich wirklich nicht ein, wie man aus solchen Prämissen […] etwas anders folgern könnte als das Gleichbehandlungsprinzip aller Völker Österreichs.

František Palacký, Oesterreichs Staatsidee, Prag (Kober) 1866, S.16 f., aus didaktischen Gründen vereinfacht von Lukas Epperlein

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Aufgabe

Was will František Palacký?

  1. Beschreibe die Forderung Palackýs in eigenen Worten. Informiere dich dafür in Kapitel 1.5, Punkt 13, kurz über die Situation Österreich-Ungarns zu Palackýs Zeit.
    1. Was will Palacký ändern?
    2. Für wen fordert er Änderungen?
    3. Von wem fordert er Änderungen?
  2. Gehören Palackýs Forderungen in den Bereich demokratische Volkssouveränität, nationalistische Volkssouveränität oder haben sie gar nichts mit Volkssouveränität zu tun? Begründe deine Antwort.
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The Dream of Worldwide Democratic and Social Republics – The Pact Between Nations, a print prepared by Frédéric Sorrieu, 1848
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Urheber: Frédéric Sorrieu

https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Frederic_Sorrieu_-_Universal_Democratic_and_Social_Republic_1848.jpg

PD

So stellte sich der Maler Frédéric Sorrieu 1848 den 'Pakt der Völker' vor, die gemeinsam als friedliche und demokratische Republiken ihre Volkssouveränität wahrnehmen

English: Grateful Hellas.
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Urheber: Theodoros Vryzakis (1814–1878)

https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Theodoros_Vryzakis,_Grateful_Hellas_(1858).jpg

PD

'Dankbare Hellas' – Auf diesem Bild von 1858 nimmt Hellas, die Personifizierung Griechenlands, dankbar die Geschenke der Kämpfer entgegen, die im gerade vergangenen Unabhängigkeitskrieg für ihre Souveränität gekämpft haben.

Apotheosis of the Slavs
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Urheber: Alfons Mucha (1860-1939)

https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Mucha_Apoteoza.jpg

PD

'Die Apotheose der Slawen' – Dieses Gemälde des Tschechen Alfons Mucha (1860-1939) ist das letzte seines 20-teiligen Werks 'Der slawische Epos'. In ihm wird die Geschichte der Slawen in 20 Gemälden dargestellt. Am Ende steht die 'Apotheose' (= Gottwerdung) des slawischen Volks. Das Volk wird Gott – der höchste Souverän.

4. Ein doppelter Angriff

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Für die Feudalreiche der 'Alten Welt' war die Forderung nach Volkssouveränität ein doppelter Angriff. Denn zum einen waren sie Monarchien mit geringer demokratischer Beteiligung, und zum anderen waren sie Reiche, in denen viele unterschiedliche Völker zusammenlebten. Eine Durchsetzung der demokratischen Volkssouveränität hätte also Regierungs- und Herrschaftssystem zerschlagen und die nationale Volkssouveränität hätte diese Reiche auseinanderfallen lassen. Russland, Österreich-Ungarn oder das Osmanische Reich wehrten sich daher nach Kräften gegen die Idee der Volkssouveränität und verfolgten jene ihrer Untertanen, die diese lautstark forderten.  

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Quelle

Der österreichische Schriftsteller Friedrich Schütz über František Palacký in einem Nachruf

Als 1848 der „Völkerfrühling“ unter Wettern und Stürmen über Österreich kam, hatte Palacký erst nur einen Gedanken, dass die Selbstständigkeit Böhmens rechtlich neu begründet werden solle. Böhmen als Domäne seiner Stammesgenossen zu sehen, genügte ihm nicht mehr. Er wollte, dass aus dem Leibe des Reiches ein neuer Körper gerissen würde: die Länder der böhmischen Krone. Böhmen sollte mit Mähren und Schlesien vereint werden und in diesem neuen Gebiete sollten natürlich die Deutschen Amboss, die Tschechen Hammer sein. Ein Stück nationalen Sozialismus lag in dieser Politik, und die tschechischen Massen teilten in ihren Träumen bereits Gut und Reichtum der vogelfrei gewordenen Deutschen. 

Friedrich Schütz, Auch ein slavischer Agitator, Die Gartenlaube, Heft 49, Leipzig 1876, S. 828–832, aus didaktischen Gründen vereinfacht von Lukas Epperlein

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Aufgabe

Schütz und Palacký

  1. Erkläre die Wendung "Dass aus dem Leib des Reiches ein neuer Körper gerissen würde". Von welchem Reich spricht Schütz und was ist der neue Körper?
  2. Friedrich Schütz war Deutscher in Prag, František Palacký war Tscheche in Prag, beide waren Untertanen des österreichischen Kaisers und beide hatten sehr unterschiedliche Standpunkte zur tschechischen Volkssouveränität. Beschreibe und begründe diese beiden Standpunkte. Nutze dafür Informationen aus dem gesamten Kapitel.

Zusammenfassung: Volkssouveränität vs. monarchische Vielvölkerstaaten

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