Der Traum der meisten Nationalisten ist es, einen Staat mit einer ethnisch/sprachlich/kulturell einheitlichen Bevölkerung zu haben. Dieser Traum erfüllt sich aber nie. Bevölkerungen sind nicht einheitlich. Und da sie das nicht sind stellt sich immer die Frage: "Was ist mit den Minderheiten?" In der Staatsgründungswelle nach dem Ersten Weltkrieg stellte sich diese Frage besonders deutlich, weil überall nicht nur neue Staaten, sondern auch neue Minderheiten entstanden. Was war die Position derer, die keinen eigenen Staat bekommen hatten? Wie würden ihre neuen Regierungen mit ihnen umgehen und ihre Sicherheit und ihre Rechte garantieren?
2.3 Die neuen Staaten und ihre Minderheiten
1. Lemberg – Lwów – Lwiw
Die Stadt Lwiw in der heutigen Westukraine hieß 1914 Lemberg und lag im Kaiserreich Österreich-Ungarn. Sie war die Hauptstadt des sogenannten 'Kronlands' Galizien. In Galizien lebten vor allem Polen, Ukrainer und Juden. Als sich am Ende des Ersten Weltkriegs das Kaiserreich auflöste, stellte sich die Frage, zu wem Galizien und seine Hauptstadt nun gehören würden. Die Ukrainer ergriffen die Initiative und riefen am 1. November 1918 in Lemberg die Westukrainische Volksrepublik aus – schließlich lebte im Umland von Lemberg eine starke ukrainische Bevölkerungsmehrheit. Im polnischen Warschau sah man das anders: Die neugegründete polnische Regierung erhob ebenfalls Anspruch auf Galizien, insbesondere auf Lemberg, denn in der Stadt lebte eine mehrheitlich polnische Bevölkerung. Polnische Truppen marschierten in Galizien ein und besetzten am 21. November Lemberg. Aus dem österreichischen Lemberg wurde das polnische Lwów.
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Das Judenpogrom von Lemberg 1918
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Das Judenpogrom von Lemberg 1918
Hinweis: Der folgende Text stammt aus einem Bericht des polnischen Außenministeriums, das die Ereignisse in Lemberg/Lwów Im November 1918 untersuchen ließ.
Die ukrainische Armee zog sich am 22. November um 4 Uhr morgens aus Lemberg zurück. Das Pogrom begann am gleichen Tag um 9 Uhr vormittags. Die Armee war getrieben vom Wunsch des Heimzahlens in der völligen Überzeugung, dass die Juden Hand in Hand mit den Ukrainern gegangen seien, und darüber hinaus in der Überzeugung, dass dieses Rückzahlen ganz einfach angeordnet sei. Es versteht sich von selbst, dass es keinerlei derartige Anordnung gegeben hat. Dennoch herrschte die Überzeugung, dass ein formaler Befehl zu einer Strafexpedition bestehe. So besitzen wir einige Quittungen, welche auf offizielle Weise für genommenes Geld ausgestellt wurden. Der Ausstellende war sicher, dass er seine Pflicht tue. Das betrifft natürlich nur einen Teil der Armee, der verbrecherische Elemente plünderte und mordete aus eigenem Antrieb.
Seit dem Morgen des 22. Novembers begannen höllische Orgien und dauerten maximal 48 Stunden. Eine Beschreibung liefern wir im detaillierten Bericht, hier geben wir lediglich an, dass schreckliche Dinge passierten. Das waren tierische, mittelalterliche Erscheinungen. Mit Schmerzen stellen wir fest, dass sich darunter auch eine gewisse Zahl an Offizieren befand, die sich an Raub und Mord beteiligten.
Die Opferzahl lässt sich noch nicht genau bestimmen, eine sichere Zahl an Leichen konnte noch nicht geborgen werden. In der Liste der gemeinsam Beerdigten könnten sich einige befinden, die während der ukrainisch-polnischen Kämpfe getötet wurden, an ihren Verwundungen können noch mehrere erliegen, usw.
Daher geben wir hier eine Minimalzahl an:
- Getötete und Gefallene insgesamt mindestens 150.
- Verbrannte 2 bis 3-stöckige Häuser ungefähr 50.
- Vollständig ausgeraubte Geschäfte im jüdischen Bezirk grob 500.
- Obdachlose bislang aus verschiedenen Lokalen des jüdischen Rettungskomitees 400. Insgesamt zählt das Komitee knapp 2000 Obdachlose.
- Waisen, welche Vater oder Mutter während der Pogrome verloren haben, meldeten sich bislang etwa 70.
- Fälle von Vergewaltigungen wurden von Eltern ein gutes Dutzend Mal gemeldet, diese Zahl ist zu gering, aufgrund der Scham der jüdischen Familien.
- Insgesamt Geschädigte durch Mord, Raub und Diebstahl meldeten sich beim Komitee bis zum 13. Dezember etwa 7000 Familien.
Die gemischte Bevölkerung Lembergs hatte lange Zeit friedlich zusammengelebt. Mit der Stärkung nationalistischer Strömungen seit Beginn des 20. Jahrhunderts kam es aber auch hier immer wieder zu gewaltsamen Spannungen, vor allem zwischen der größtenteils polnischen Oberschicht und den ärmeren Ukrainern. Die Gewaltexzesse von 1918 und die Neugründung des polnischen Staates stellten eine Frage nun sehr dringlich: Welches Verhältnis hatte der polnische Staat eigentlich zu den Gruppen von jüdischen, ukrainischen, weißrussischen oder litauischen Menschen, die im polnischen Staat lebten?
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Jeder der will, kann Pole werden
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Jeder der will, kann Pole werden
Hinweis: Dieser und der folgende Text stammen aus dem zwischen den Siegermächten und Polen ausgehandelten Minderheitenschutzvertrag, der am 28. Juni 1919 in Versailles unterzeichnet wurde.
Artikel 3
Polen anerkennt als polnische Staatsangehörige rechtmäßig ohne jede Förmlichkeit die deutschen, österreichischen, ungarischen oder russischen Staatsangehörigen, die im Augenblicke des Inkrafttretens des gegenwärtigen Vertrages in dem Gebiete wohnen, welches als Teil Polens schon anerkannt ist oder noch wird. [...] Gleichwohl haben alle obenbezeichneten Personen, die über 18 Jahre alt sind, das Recht, unter den in den genannten Verträgen vorgesehenen Bedingungen für jede andere Nationalität, die ihnen offen steht, zu optieren. [...]
Die Personen, die das erwähnte Optionsrecht ausgeübt haben, müssen innerhalb der nächstfolgenden 12 Monate, [...] ihren Wohnsitz in den Staat verlegen, zu dessen Gunsten sie optiert haben. Sie sind berechtigt, ihren unbeweglichen Besitz im polnischen Gebiet zu behalten. Sie dürfen ihr bewegliches Eigentum jeder Art mit sich nehmen. Dabei darf ihnen keinerlei Ausfuhrzoll auf solches Gut auferlegt werden. [...]
Artikel 6
Die polnische Staatsangehörigkeit wird rechtmäßig schon durch die Tatsache der Geburt auf polnischem Gebiete für jede Person erworben, die keine andere Staatsangehörigkeit für sich geltend machen kann.
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Wir schützen eure Rechte
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Wir schützen eure Rechte
Hinweis: Dieser Text stammt aus dem zwischen den Siegermächten und Polen ausgehandelten Minderheitenschutzvertrag, der am 28. Juni 1919 in Versailles unterzeichnet wurde.
Artikel 2
Die polnische Regierung verpflichtet sich, allen Einwohnern ohne Unterschied der Geburt, der Staatsangehörigkeit, der Sprache, des Volkstums und der Religion den umfassendsten Schutz ihres Lebens und ihrer Freiheit zu gewähren.
Allen Einwohnern Polens soll das Recht auf freie private und öffentliche Ausübung jeden Bekenntnisses, jeder Religion oder Weltanschauung haben, deren Betätigung nicht mit der öffentlichen Ordnung und den guten Sitten unvereinbar ist.
Artikel 7
Alle polnischen Staatsangehörigen sind vor dem Gesetze gleich und genießen ohne Unterschied des Volkstums, der Sprache oder der Religion die gleichen bürgerlichen und staatsbürgerlichen Rechte. [...]
Kein polnischer Staatsangehöriger darf in dem freien Gebrauch einer beliebigen Sprache irgendwie beschränkt werden, weder in seinen persönlichen oder wirtschaftlichen Beziehungen, noch auf dem Gebiete der Religion, der Presse oder bei Veröffentlichungen jeder Art, noch endlich in öffentlichen Versammlungen. [...]
Artikel 11
Die Juden dürfen nicht gezwungen werden, irgendwelche Handlungen vorzunehmen, die eine Verletzung ihres Sabbat in sich schließen, und sie dürfen keine Entrechtung erleiden, wenn sie sich weigern, am Sabbat vor den Gerichten zu erscheinen oder Rechtshandlungen vorzunehmen. Diese Bestimmung befreit jedoch die Juden nicht von den Pflichten, die allen polnischen Staatsangehörigen im Hinblick auf die Notwendigkeit des Heeresdienstes, der nationalen Verteidigung oder der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung obliegen. [...]
Sabbat: Der Sabbat (Samstag) ist der heilige Tag der jüdischen Woche. An diesem Tag dürfen strenggläubige Juden nach ihrer religiösen Überzeugung keinerlei Arbeit nachgehen.
Merkkasten
Minderheitenschutz
Merkkasten
Minderheitenschutz
Der wirksame Schutz von nationalen Minderheiten hat vor allem zwei Dimensionen: Den Schutz vor Diskriminierung sowie den Schutz der sprachlichen/kulturellen Besonderheiten.
Schutz vor Diskriminierung:
Kein Angehöriger einer Minderheit soll wegen seines Minderheitenstatus schlechter behandelt werden als ein Angehöriger der Mehrheit. Das wäre Diskriminierung. Typische Formen der Diskriminierung sind erschwerter Zugang zu bestimmten Berufen, Wohnungen oder Warenangeboten, auch erhöhte Besteuerung, härtere Bestrafung und schlechtere Behandlung vor Ämtern und Gerichten. Wirksamer Minderheitenschutz verbietet solche Diskriminierungen durch Gesetze und bekämpft sie durch aktive Politik.
Schutz der sprachlichen/kulturellen Besonderheiten
Minderheiten sind Minderheiten, weil sie bestimmte Merkmale von der Mehrheit unterscheiden. Meistens ist es die Muttersprache, gemeinsame Traditionen und Rituale oder eine bestimmte Religion. Wirksamer Minderheitenschutz achtet diese Unterschiede und gibt der Minderheit gesetzlich verankerte Möglichkeiten, diese zu praktizieren: Schulunterricht in der Muttersprache, eigene kulturelle Institutionen (z. B. Vereine, Zeitungen, Gebäude) und geschützte Religionsausübung.
Aufgabe
Wirksamer Minderheitenschutz?
- Sieh dir die Quellen 5 und 6 an. Markiere die Stellen, an denen die polnischen Minderheiten vor Diskriminierung geschützt werden sollen und die, an denen ihre Besonderheiten geschützt werden sollen. Nutze dafür den Merkkasten.
- "Wer in Polen in den Genuss voller Rechte kommen will, muss zuerst Pole werden." Bewerte diese Aussage. Ist das ein legitimer Anspruch oder eine ungerechte Forderung? Begründe deine Antwort.
2. Exkurs: Minderheitenrechte heute
Aufgabe
Minderheitenrechte heute
- Nenne die nationalen Minderheiten, um die es in den beiden Videos oben geht.
- Skizziere die Situation dieser Minderheiten in eigenen Worten.
- Vergleiche die Situation heute mit der Situation der Juden im neu gegründeten Polen 1920.
3. Neuer Staat als neue Chance – Deutsche wollen nach Rumänien
Die deutschsprachige Minderheit in Siebenbürgen und im Banat (Siebenbürger Sachsen und Banater Schwaben) sah in den Umwälzungen nach dem Ersten Weltkrieg eine Chance. Bisher hatten sie im ungarischen Teil des Kaiserreichs Österreich-Ungarn gelebt und unter der harten Magyarisierungspolitik (siehe Kapitel 1.5) der ungarischen Nationalisten gelitten. Nun erhob das benachbarte Rumänien Anspruch auf Siebenbürgen und den Banat, da hier zusammen mit den Deutschen eine rumänische Bevölkerungsmehrheit lebte. Die Siegermächte waren bereit, diese Forderung größtenteils zu erfüllen, wenn die dort lebenden Menschen (also auch die Deutschen) dem Anschluss an Rumänien mehrheitlich zustimmen würden. Um das zu erreichen, machte die rumänische Regierung großzügige Zugeständnisse an Minderheitenrechten. Die Deutschen sahen ihre Chance, von einer bedrängten Minderheit in Ungarn zu einer akzeptierten und rechtlich geschützten Minderheit in Rumänien zu werden. Sie stimmten größtenteils für einen Anschluss an Rumänien.
Quelle
Auszug aus den Karlsburger Beschlüssen vom 18.12.1918
Quelle
Auszug aus den Karlsburger Beschlüssen vom 18.12.1918
[...] Im Zusammenhang mit dieser als dem Grundprinzip für die Gestaltung des neuen rumänischen Staates verkündet die Nationalversammlung das folgende:
1. Die volle nationale Freiheit für alle mitbewohnenden Völker. Jedes Volk wird den Unterricht, die Verwaltung und die Rechtspflege in seiner eigenen Sprache durch Personen aus seiner Mitte erhalten, und jedes Volk wird das Recht der Vertretung in den gesetzgebenden Körperschaften und in der Regierung im Verhältnis der Zahl seiner Volkangehörigen haben.
2. Gleichberechtigung und volle autonome konfessionelle Freiheit für alle Konfessionen im Staate.
3. Volle Verwirklichung eines rein demokratischen Regimes auf allen Gebieten des öffentlichen Lebens. Allgemeines, gleiches, geheimes, gemeindeweises Proportionalwahlrecht für beide Geschlechter im Alter von 25 Jahren für die Vertretung in Gemeinde, Bezirk oder Parlament.
4. Vollständige Presse-, Vereins- und Versammlungsfreiheit, volle Gedankenfreiheit. [...]
Darstellung
Nationsuniversität und Bodenreform
Darstellung
Nationsuniversität und Bodenreform
Die 'Sächsische Nationsuniversität in Siebenbürgen' war jahrhundertelang die wichtigste politische Einrichtung der Deutschen in Siebenbürgen gewesen. Hier organisierten sie ihre Selbstverwaltung, Schul- und Gerichtswesen und hier trafen sich Vertreter der Deutschen in Siebenbürgen, um über wichtige politische Fragen zu entscheiden. Ihre politische Macht verlor die Nationsuniversität bereits 1876. Siebenbürgen war mittlerweile Teil des ungarischen Teils von Österreich-Ungarns. Den Nationalisten in der ungarischen Regierung war die deutsche Selbstverwaltung in Siebenbürgen ein Dorn im Auge, die Nationsuniversität wurde als politische Einrichtung abgeschafft und in eine Stiftung umgewandelt.
Die Nationsuniversität besaß aber eine Menge Land in Siebenbürgen. Dieses Land wurde bewirtschaftet und warf jedes Jahr Erträge ab. Diese Erträge blieben bei der neuen 'Stiftung Nationsuniversität' und wurden verwendet, um kulturelle und soziale Einrichtungen, vor allem das deutsche Schulwesen in Siebenbürgen, zu finanzieren. Auf diesem Weg blieben die deutschen Schulen in Siebenbürgen gut ausgestattet und finanziell unabhängig.
Nach dem Ersten Weltkrieg ging ganz Siebenbürgen an Rumänien und die rumänische Regierung führte 1921 eine Bodenreform durch. Ziel dieser Reform war es vor allem, den rumänischen Kleinbauern mehr Land zur Verfügung zu stellen. Das dafür notwendige Land sollte aus großen Landbesitzungen kommen und einer der größten Landbesitzer in Siebenbürgen war die Stiftung Nationsuniversität. Ihr wurde ein Großteil ihres Landes entschädigungslos abgenommen. Das wiederum verschlechterte die Lage an den Schulen, denen dadurch eine wichtige Finanzquelle verlorenging.
Die Deutschen in Siebenbürgen, denen noch 1918 weitreichende nationale Eigenständigkeit, gerade auf den Gebiet des Schulwesens, zugesagt worden war, empfanden dies als große Ungerechtigkeit.
Aufgabe
Schulen und Minderheitenrechte
- Beschreibe in eigenen Worten die Zusagen, die der deutschsprachigen Minderheit in den Karlsburger Beschlüssen gemacht wurden.
- Erkläre die Enttäuschung, die die rumänische Bodenreform (siehe Darstellung oben) vor dem Hintergrund dieser Zusagen bei den Deutschen in Siebenbürgen auslöste.
- Diskutiert gemeinsam die Bedeutung, die Schulen im Zusammenhang mit Minderheitenrechten haben.
4. Siegermächte, Völkerbund und Minderheitenrechte
Formal hatten die Minderheiten in Polen und Rumänien weitgehende Rechte zugesichert bekommen. Dies geschah aber vor allem auf Druck der Siegermächte und des von ihnen eingerichteten Völkerbundes. Die nationalen Regierungen wären wahrscheinlich nicht von selbst auf die Idee gekommen, ihre Minderheiten mit bestimmten Sonderrechten auszustatten (immerhin sahen sie sich als Vertreter der Mehrheit). Aber die nationalen Regierungen wollten etwas: Starke Nationalstaaten mit weit gefassten, gesicherten und international anerkannten Grenzen. Und dafür brauchten sie den Völkerbund.
Der Handel war oft so: Der Völkerbund erkannte die geforderten Grenzverläufe (weitgehend) an und die Staaten verpflichteten sich dafür, die in diesen Grenzen lebenden Minderheiten fair zu behandeln und mit wichtigen Rechten auszustatten. Nicht immer ließen sich diese Rechte einklagen, nicht immer wurden alle Versprechen gehalten. Aber dass festgeschriebene Rechte Minderheiten zumindest etwas schützen kann man leicht erkennen, wenn man sich ansieht was passiert, wenn solche Rechte und Forderungen fehlen.
5. Minderheiten ohne Rechte
Im letzten Kapitel haben wir gesehen, dass das Osmanische Reich 1918 besiegt war, aber schon 1923 die Türkei als siegreicher und aufstrebender Nationalstaat seine Nachfolge antrat. Auf dem Gebiet der neu gegründeten Türkei lebten mehrere Minderheiten, die beiden größten waren die Griechen und die Kurden. Wie alle Nationalstaaten wollte die Türkei ein Staat auf Grundlage der türkischen Nation sein. Daher waren mehrere Millionen Menschen, die sich nicht als Türken, sondern als Griechen bzw. Kurde ansahen, für sie ein Problem.
Galerie: Minderheiten in der Türkei
Griechen werden 'ausgetauscht'
Im Fall der Griechen gab es in der direkten Nachbarschaft einen Staat, in den man sie schicken konnte: Griechenland. Nach Ende des griechisch-türkischen Krieges vereinbarten die türkische und griechische Regierung 1923, dass sie einen Teil ihrer Bevölkerungen gegeneinander austauschen würden. Griechenland würde seine türkische Minderheit (ca. 400.000 Menschen) in die Türkei schicken und die Türkei schickte den Großteil ihrer griechischen Minderheit (ca. 1,2 Mio.) nach Griechenland. Das war kein Optionsmodell wie beispielsweise in Polen "Du kannst unsere Staatsbürgerschaft annehmen oder du ziehst aus." – Nein, die betroffenen Menschen hatten keine Wahl, sie wurden vertrieben und zwangsumgesiedelt. Und das, obwohl einige dieser Familien bereits seit Jahrhunderten dort lebten, wo sie lebten.
Darstellung
Und alle hielten das wirklich für eine gute Idee !!?
Darstellung
Und alle hielten das wirklich für eine gute Idee !!?
Vertreibungen, Zwangsumsiedlungen, ethnische Säuberungen wurden nicht erst im 20. Jahrhundert erfunden. Solche Verbrechen gehören seit Jahrtausenden zur menschlichen Kriegsführung und Gewaltherrschaft dazu. Aber normalerweise geschehen sie, weil ein skrupelloser Sieger sie gegen wehrlose Besiegte durchsetzt.
Verstörend am griechisch-türkischen Bevölkerungsaustausch ist jedoch, dass alle (außer den Betroffenen) damit einverstanden waren. Dieses Verbrechen an über 1,6 Millionen Menschen wurde verhandelt, aufgeschrieben, unterzeichnet, vom Völkerbund gebilligt und in europäischen Zeitungen veröffentlicht. Es gab keine Aufschrei in der europäischen Öffentlichkeit, es gab keinen Protest von Regierungen. Man hielt es einfach für eine gute Idee, dass die Türkei und Griechenland ihre Bevölkerungen 'bereinigten', damit sie danach stabilere Nationalstaaten werden konnten. Millionenfaches Leid und ein bis heute vergiftetes Verhältnis zwischen beiden Staaten wurden dafür in Kauf genommen.
Kurden sollen Türken werden
Die Kurden in der Osttürkei (heute ca. 15 Mio.) wurden von der türkischen Regierung nicht als nationale Minderheit oder Volksgruppe anerkannt. Für die Regierung waren die Kurden Türken und wenn sie das anders sahen, musste man es ihnen unter Strafandrohung beibringen. Das Sprechen der kurdischen Sprachen wurde verboten, das Veröffentlichen von kurdischen Texten und das Tragen traditioneller Kleidung ebenfalls. Bis heute steht in der türkischen Verfassung, dass an türkischen Schulen keine andere Muttersprache gelehrt werden darf als Türkisch.
Die Kurden hatten im Osmanischen Reich weitreichende Autonomie und kulturelle Eigenständigkeit genossen. Das Osmanische Reich hatte sich vor allem über den Islam definiert, die Kurden waren größtenteils Muslime und dem Reich treue Untertanen gewesen. Nun verschlechterte sich ihre Situation radikal: Sie hatten sich nach dem Ersten Weltkrieg Hoffnung auf einen eigenen Staat gemacht (Selbstbestimmungsrecht der Völker), den bekamen sie nun nicht. Und der Staat, in dem die Mehrheit der Kurden nun lebte, die Türkei, unterdrückte die kurdische Sprache und Kultur, wollte sie verschwinden lassen und die Kurden zu Türken machen.
Die Folge war ein bis heute anhaltender Konflikt zwischen der türkischen Regierung und den türkischen Kurden.
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Die Geschichte der Kurden
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Die Geschichte der Kurden
Aufgabe
Die Bedeutung von Minderheitenrechten
Erkläre am Beispiel der Türkei die Bedeutung von Minderheitenrechten
- für die betroffenen Minderheiten
- für das friedliche Zusammenleben von Mehrheit und Minderheit.