Ich habe dir jetzt ein paar Gemeinsamkeiten von Menschen in einer "Nation" gezeigt. Häufig haben Nationen eine gemeinsame Sprache, eine gemeinsame Kultur, man versteht sich. In anderen Nationen sind gemeinsame Werte und Ideale das wichtigste verbindende Element. Ich finde, das klingt alles so technisch. "Kulturnation", "Staatsnation", aber irgendwie fehlt da doch noch was, oder? Ich glaube, wir müssen uns noch über eine emotionale Dimension unterhalten.
Eine der häufigsten Erscheinungsformen der Nation ist als Gefühl. Das Gefühl, zu einer großen Gruppe von Menschen zu gehören, die etwas verbindet. Und dieses Verbindende kann auch Rührung, Ergriffenheit oder Freude sein, mit der man auf einen bestimmten Text, ein Lied, ein Gemälde oder eine Landschaft reagiert. Gedichte, Musik und Kunst sind mächtig darin, Gefühle hervorzurufen. Und so eignen sie sich auch gut dazu, ein Gefühl der Zusammengehörigkeit zu erzeugen.
Wenn Nationalität ĂĽber Ergriffenheit funktionieren wĂĽrde, könnte man beispielsweise sagen, "deutsch ist, wer beim Anblick des Rheintals, beim Hören von Bachs Weihnachtsoratorium oder beim Betrachten der Gemälde von Caspar David Friedrich ein warmes GefĂĽhl in der Brust bekommt." Das ist ein schöner Gedanke. Aber zwei Fragen bleiben auch bei diesem Nationalitätsverständnis offen: Was ist mit einem Menschen aus Paris, der das Rheintal liebt – wird der dadurch zum Deutschen? Und was ist mit einem Menschen aus Köln, der mit Caspar David Friedrich nichts anfangen kann – ist der dann kein Deutscher mehr?Â